Weine ruhig
vergaßen dabei fast, wo wir uns befanden. Manchmal beobachtete ich wütende Kämpfe zwischen ihnen, wenn zum Beispiel ein Vogel ein Samenkorn gefunden hatte und ein anderer ihn angriff und versuchte, ihm das Bröck-chen aus dem Schnabel zu stehlen. Wenn der erste Vogel sich wehrte, begann ein Kampf, das Samenkorn ging zwischen den Vögeln hin und her, und ich drückte demjenigen Vogel die Daumen, der es als Erster gefunden hatte, hoffte, er würde es hinunterschlingen, ehe der Angreifer es stahl. Manchmal verloren alle beide gegen einen dritten Vogel, und dann sahen die ersten beiden Kontrahenten sich an, als wollten sie sagen: »Wie schade, dass wir uns gestritten haben, jetzt haben wir beide verloren.«
Manchmal sahen wir Eichhörnchen zwischen den Bäumen herumspringen. Wenn wir länger an einer Stelle blieben, um uns auszuruhen, gewöhnten sich die Eichhörnchen an uns und wurden so mutig, dass sie näher kamen. Insekten und Schmetterlinge in herrlichen Farben schwirrten zwischen den
Bäumen herum. Hin und wieder tauchten Nachttiere auf -Kriechtiere und Nager - und erschreckten uns fast zu Tode. Der Tag war voller Geräusche, aber nachts, wenn es pechschwarz war und die Vögel nicht mehr zwitscherten und nur der Wind durch die Zweige pfiff und uns etwas ins Ohr murmelte, ergriff uns eine unkontrollierbare Angst. Wir fürchteten, dass sich jemand plötzlich im Dunkeln auf uns stürzen und uns etwas zuleide tun würde. Ich weiß nicht, was mir mehr Angst machte - die Tiere des Waldes oder die Möglichkeit, dass ein Gardist uns aufspürte.
Eines Tages, als wir im Gänsemarsch hintereinander hergingen - Vater vorneweg und Mutter hintendrein hörten wir Stimmen, die näher kamen. Es war bereits zu spät, eine andere Richtung einzuschlagen und zu fliehen. Wir waren kurz davor, entdeckt zu werden. Schnell einigten wir uns darauf zu behaupten, dass wir einen Ausflug machten, um Beeren zu suchen.
Drei junge Leute tauchten zwischen den Bäumen auf, eine Frau und zwei Männer. Dann erkannten wir die junge Frau -sie war eine Jüdin aus Nitra. Wir atmeten alle erleichtert auf. Sie lächelten uns an, zuerst nervös, dann bald entspannter. Sie waren überrascht, mitten im Wald auf eine Familie mit Kindern zu stoßen, und fanden es sehr mutig, dass wir uns hier versteckten.
Sie hätten sich als Nichtjuden verkleidet und sich falsche Papiere beschaffen können, erzählten sie, und manchmal würden sie für die Bauern Gelegenheitsarbeiten verrichten. Sobald jemand Verdacht schöpfte, waren sie immer schnell weg, ehe es zu spät war, und sie versuchten jetzt, sich zu den Partisanen in den Bergen durchzuschlagen. Sie wussten, dass ein langer und gefährlicher Weg vor ihnen lag. Vaters Vorschlag, sich ihnen anzuschließen, wiesen sie entschieden zurück - denn die Partisanen lebten unter harten Bedingungen und würden keine Familie mit Kindern akzeptieren.
Wir trennten uns unter Tränen, wünschten uns gegenseitig viel Glück und Erfolg. Als die drei jungen Leute in der Tiefe des Waldes verschwunden waren und die Stille noch bedrohlicher wurde, fühlte ich mich wieder allein. Ich hatte das Gefühl, mit meiner Familie in der Falle zu sitzen. Wie sollten wir uns weiterhin im Wald verstecken, ohne Verpflegung und die anderen Dinge, die wir zum Überleben brauchten? Wir schienen im Kreis zu laufen, ziellos unseren eigenen Spuren zu folgen, immer wieder dieselben Bäume zu sehen und sogar dieselben Lichtungen - ohne ein Licht am Ende des Tunnels. Aber Vater, der unseren Weg nach dem Stand der Sonne berechnete, nach ihrem Auf- und Untergang, war sicher, dass wir auf die Dörfer zusteuerten. Und auch wenn wir Zweifel an seinem Orientierungssinn hatten, blieb uns unter diesen Umständen keine andere Wahl, als ihm zu vertrauen.
So »näherten« wir uns dem »Nirgendwo«. Eines Tages entdeckten wir eine große Lichtung, die mit Gras bewachsen war. Durch die Bäume schien es uns, als würde sich etwas auf dieser Lichtung bewegen. Als wir näher kamen, sahen wir eine braune Kuh, die träge wiederkäuend dastand, und neben der Kuh eine Bäuerin in einem weiten dunklen Rock und mit einem schwarzen Kopftuch, das sie unter ihrem Kinn zusammengebunden hatte. In der einen Hand hielt sie einen langen Stock, und mit der anderen Hand stützte sie sich auf einen Eimer mit Milch. Sie schien darauf zu warten, dass die Kuh zu kauen aufhörte.
Mutter beschloss sofort, allein zu ihr zu gehen und sie um etwas Milch zu bitten. Sie näherte sich der
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