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Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aliza Barak-Ressler
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Trance. Wusste er, wo wir das Haupt in jener Nacht im Wald betten und welche Gefahren dort lauern würden? Hatte er daran gedacht, was wir essen und wie wir uns gegen die Kälte schützen sollten? Vater hatte die Last der Verantwortung auf sich genommen. Wir rannten mit ihm los wie wilde Tiere, die von einem Raubtier verfolgt wurden, die Gefahr witterten und ein Versteck suchten. Vater war kühn genug, seine Familie ins Ungewisse zu führen, mit dem einen Ziel: zu überleben.
    Endlich erreichten wir den Waldrand. Inzwischen war es fast ganz dunkel geworden. Die Bäume sahen düster und furchterregend aus, und der Boden war mit Laub bedeckt. Nach einiger Zeit, noch ehe es stockdunkel wurde, kamen wir an eine große Lichtung. Vater sammelte abgebrochene Äste, und wir halfen ihm, indem wir kleine Steine beiseite warfen. Als wir fertig waren, hatten wir einen nahezu ebenen Platz, auf dem wir uns hinlegen und lang ausstrecken konnten. Vater sagte, wir sollten uns aneinander schmiegen, um uns zu wärmen, und dass uns der Blätterteppich als Bett und Bettdecke dienen würde. Rachel, Miriam und ich legten uns auf die Erde und deckten uns mit unseren Mänteln zu, während Mutter und Vater uns mit Blättern überhäuften. Ich sah hoch in die Zweige, die sich im Wind bewegten, und meine Augen folgten den fallenden Blättern, die der Wind herumwirbelte, ehe sie sanft zur Erde schwebten.
    Zutiefst erschöpft von den Ereignissen des Tages, sanken wir fast sofort in einen tiefen Schlaf. Zu unserem Erstaunen wärmten uns die Blätter ebenso gut wie eine Decke, und ich schlief die Nacht durch, ohne ein einziges Mal aufzuwachen. Ich weiß nicht, ob auch Mutter und Vater in jener ersten Nacht im Wald geschlafen haben. Ich habe sie nie gefragt. Am nächsten Morgen weckte mich das Gezwitscher der Vögel. Die Strahlen der Sonne kämpften sich durch die dichten
    Baumkronen. Ab jetzt, fühlte ich, würde unser Leben anders sein - wir waren wie wilde Tiere, die vor den Jägern flüchteten.
    Wie Hansel und Gretel
    »Großmama, wie habt ihr denn im Wald gelebt?«, fragte Omer; die wissen wollte, weiterging. »Was habt ihr ge
    gessen, und wie habt ihr den Weg gefunden? Es war doch bestimmt ein bisschen unheimlich, nachts draußen zu schlafen und im Wald herumzulaufen, ohne ein Ziel vor Augen. Seid ihr von Tieren angefallen worden?«
    »Du möchtest also wissen, wie wir im Wald zurechtgekommen sind und wie lange wir dort waren. Es tut mir Leid, Omer; aber das kann ich dir nicht sagen. Die ganze Zeit, die wir im Wald verbrachten, kommt mir vor wie ein Traum. Heute kann ich mir sogar kaum noch meine große Angst vorstellen, die ich damals in dem finsteren Wald verspürte. Als wir uns später über diese Zeit unterhielten, schätzten wir; dass wir etwa zehn bis vierzehn Tagen in jenem Wald zugebracht hatten. Keiner von uns kann sich genau daran erinnern, weil die Tage und die Umgebung immer gleich waren und die Zeit stillzustehen schien. Wir hatten großes Glück, dass es damals in den ersten Septembertagen nicht regnete und der Boden, auf dem wir unsere >Betten< machten, noch nicht gefroren war. Aber nun will ich dir deine Frage wenigstens teilweise beantworten...«
    Der Wald schien endlos zu sein. Wir bahnten uns einen Weg zwischen den Sträuchern und Bäumen, und hin und wieder kamen wir zu einer Lichtung. Die Bauern der Gegend nutzten diese Freiflächen für den Anbau von Getreide und Gemüse. Wir suchten die Lichtungen nach Gemüse ab. Meist fanden wir ein paar Tomaten, einen Kohlkopf, ein paar saftige Gurken oder wilde Erdbeeren, unser Hauptnahrungsmittel. Im Wald hatten wir nur ein Ziel: uns so weit wie möglich von Nitra zu entfernen und in eines der am Waldrand gelegenen Dörfer zu gelangen. Wir gingen langsam, wagten uns hin und wieder auf eine dieser Lichtungen, um uns zu stärken, dann huschten wir in den Schutz der Bäume zurück. Manchmal kamen wir zu einem Rinnsal und konnten unseren Durst löschen.
    Wenn wir uns durch den dichten Wald schlugen, hielten wir nach Stellen Ausschau, an denen die Sonne durchkam, Lichtschneisen bahnte und Wärme verbreitete. Dort machten wir Rast. Wir lauschten dem Gezwitscher der Vögel, beobachteten sie aufmerksam und schlossen aus ihrem Verhalten, dass sie sich auf ihre Reise gen Süden vorbereiteten. Wenn es dämmerte, ließen sich ganze Schwärme in den Baumkronen nieder und zwitscherten im Chor. Wir lagerten auf dem Waldboden und sahen ihnen zu, wie Zuschauer eines Theaterstücks, und wir

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