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Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aliza Barak-Ressler
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verlassen. Obwohl die Deutschen wussten, dass ihre Niederlage bevorstand, hielten sie an ihrem Plan, die Juden Europas zu vernichten, unbeirrt fest. Jetzt kamen die ungarischen Juden an die Reihe.
    Innerhalb weniger Wochen wurden die Juden in den Provinzstädten in Gettos zusammengepfercht. Manche versuchten zu fliehen, hauptsächlich nach Rumänien oder nach Budapest, wo es einfacher war unterzutauchen.
    Meine Schwester Rachel wurde mit unseren Großeltern in das Getto einer Provinzstadt unweit ihres Dorfes gebracht. Wir erfuhren, dass Mutter und Vater einen »Vermittler« zu unseren Großeltern ins Getto schickten, dem es gelang, unsere Schwester herauszuschmuggeln. Sie wurde über die Grenze zurück zu unseren Eltern gebracht.
    Mutter und Vater lebten immer noch in Michalovce und bereiteten sich darauf vor, in die Westslowakei überzusiedeln. Rachel fand Mutter in einem kritischen Zustand vor: Sie sagte, sie sei des Lebens müde, weil sie glaube, dass sie ihre Töchter nie wiedersehen würde. Jetzt, da wenigstens eine von uns dreien wieder bei ihr war, besserte sich ihr seelischer und körperlicher Zustand ein wenig, obwohl sie immer noch an Depressionen litt und sagte, sie wolle sich das Leben nehmen.
    Obwohl die jüdischen Flüchtlinge aus den ungarischen Provinzstädten von den Grausamkeiten in den Gettos und den bevorstehenden Deportationen berichteten, versuchten nur wenige Juden zu entkommen. Eine Flucht war ohnehin schwierig. Die wenigsten sahen sich nach einer Alternative um, nach einem Versteck. Mitglieder der »Pfeilkreuzler«, der ungarischen Faschisten, erschossen zahlreiche Juden und warfen die Leichen in die Donau. Die Fluten der Donau färbten sich rot mit jüdischem Blut. Nachdem alle Juden aus den Provinzen nach Auschwitz deportiert worden waren, beschlossen die Deutschen, auch die Budapester Juden vor ihrer Deportation in einem Getto zu konzentrieren.
    Die Gerüchte über die sich rapide verschlechternde Lage der Juden in Ungarn erreichten auch die wenigen slowakischen Juden, die noch am Leben waren und jetzt in einer besonders ausgewiesenen Gegend im Norden und Westen der
    Slowakei lebten. Auch mein Vater hörte von der Entwicklung, und obwohl er nun in einer fremden Stadt in der Westslowakei wohnte und abhängig war von der Wohltätigkeit der örtlichen Juden, war er so kühn und einfallsreich, uns einen »Boten« zu schicken, der uns aus dem »Inferno« retten sollte.
    So kam es, dass eines schönen Tages, frühmorgens, ein dunkelhäutiger Mann an die Wohnungstür klopfte. Er sagte, er sei Zigeuner, wohne in der Slowakei und spreche auch Ungarisch. Seine Kleidung war ungepflegt, und er war unrasiert, so dass wir ihm zunächst misstrauten. Aber er zeigte uns einen Brief von Vater, in dem dieser uns wissen ließ, dass er beabsichtigte, unsere Familie wieder zusammenzuführen -mit Hilfe des Überbringers dieses Briefes. Vater hatte sich zu diesem Schritt entschlossen, weil zu dieser Zeit die Lage in der Slowakei relativ entspannt war - die Deportationen waren für einige Monate ausgesetzt worden.
    Tante Mariska und Onkel Jenö waren unsicher, ob sie Vaters Bitte nachkommen und unser Schicksal diesem ihrer Meinung nach zwielichtigen Menschen anvertrauen sollten. Wären wir nicht auf dieser beschwerlichen Reise einer viel größeren Gefahr ausgesetzt als in Budapest, trotz der Kämpfe und Bombenangriffe? Das unangekündigte Erscheinen dieses Mannes machte uns sehr nervös. Wir mussten uns schnell entscheiden. Wir hätten keine Zeit zu verlieren, sagte der Mann. Was uns schließlich die Entscheidung erleichterte, war das Gefühl, dass wir schließlich bei unseren Eltern besser aufgehoben sein würden, was immer auch geschah. Mein Cousin Simon, der zwei Jahre jünger war als ich, sollte mitkommen.
    Sofort zog Tante Mariska uns mehrere Kleidungsstücke übereinander an, damit wir nichts tragen müssten. Wir bekamen Geld und etwas Proviant für die Reise. Tante und Onkel gaben uns unter Tränen ihren Segen und begleiteten uns nur bis zur Haustür, um kein Aufsehen zu erregen. Auf der Straße sah ich ein letztes Mal nach oben, sie standen am Fenster und warfen uns Küsse zu. Ich wäre so gern geblieben, meine Beine waren so schwer, dass ich kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnte. Der Mann, der mein Zögern bemerkte, flüsterte mir ein paar aufmunternde Worte ins Ohr - und ich zwang mich loszugehen.
    Es war immer noch sehr früh am Morgen. Die Straßen lagen verlassen da, und die wenigen Leute,

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