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Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aliza Barak-Ressler
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Bedürfnis, das Tageslicht zu sehen und uns im Freien aufzuhalten, nach mehr als einem Monat in der Dunkelheit, siegte über die Bedenken.
    Wir genossen unsere Freiheit, atmeten die frische Luft ein und entfernten uns einige Meter von der Höhle, weil wir uns die Beine vertreten wollten. Vater ging voran, und wir folgten. Plötzlich, wie aus dem Nichts, erschienen vor uns zwei Uniformierte der Hlinka-Garde.
    Wir erstarrten. Wegen einer einzigen Unvorsichtigkeit waren alle unsere bisherigen Anstrengungen vergeblich gewesen. Alle unsere Versuche zu überleben waren mit einem Mal sinnlos geworden. Ohne viele Worte befahlen uns die beiden, ihnen ins Dorf zu folgen. Vater durchsuchte seine Taschen und bot ihnen Geld an. Sie nahmen das Geld, aber sie ließen uns nicht laufen.
    Dann passierte etwas völlig Unerwartetes, etwas, das wir weder geplant oder auch nur besprochen hatten - vielleicht weil wir nicht im Geringsten erwartet hätten, dass es funktionieren würde. Meine kleine Schwester Miriam fiel auf die Knie und umklammerte ein Bein eines der beiden Gardisten, brach in Tränen aus und flehte: »Bitte, ich bin noch klein, ich will leben, lassen Sie uns gehen, lassen Sie uns gehen!«
    Sprachlos vor Staunen über Miriams Gefühlsausbruch starrten wir sie nur an. Noch überraschender aber war die Reaktion des Gardisten. Der Mann, dessen Bein Miriam umklammert hielt, trat sie nicht weg, schüttelte sie nicht ab, er schrie sie nicht an oder schlug sie. Er war zutiefst bewegt. Seine Augen füllten sich mit Tränen, er bückte sich, hob Miriam hoch und sagte: »Lauft, rennt weg, schnell!«
    Sein Kamerad starrte ihn an, als würde er seinen Augen und Ohren nicht trauen. Wir konnten es selbst kaum glauben. Aber der andere Mann unternahm nichts. Sie drehten sich beide um und gingen in Richtung Dorf.
    Wir blieben noch einen Moment stehen, zu erstaunt, um uns zu bewegen. Miriam, das kleine Kind von acht Jahren, hatte die Herzen dieser Gardisten gerührt, die unser Schicksal in der Hand hatten. Wir brauchten einen Moment, um uns von dem Schock zu erholen, dann machten wir schnell kehrt und rannten zu unserem warmen und »sicheren« Loch.
    Tage später hatten wir ein wirklich schockierendes Erlebnis, das eine Entscheidung erzwang. Wir lagen, wie gewöhnlich, in dem Loch, als wir von oben ein Geräusch hörten. Wir wussten, dass es nicht Vincent oder Pavel sein konnten, weil niemand gepfiffen hatte. Angstvoll hielten wir den Atem an. Wir hörten leise Stimmen und zitterten: Es waren Deutsche. Vater gab uns zu verstehen, dass wir uns dicht an die Wand stellen und uns nicht rühren sollten, so dass die Mitte der Höhle frei war, falls jemand hinuntersehen sollte. Er legte die Hand auf Miriams Mund, damit sie nicht weinte oder schrie. Eli, Ronnys Bruder, hielt meine Hand. Seine Hand war feucht, und ich spürte, dass er vor Angst zitterte. Mein Herz raste, mir drehte sich der Magen um.
    Die Menschen über uns stießen das Stroh und die Bretter beiseite, und schwaches Licht fiel in den Keller. Plötzlich ertönte ein Schuss. Ein Blitz zuckte auf, und eine Kugel schlug in die Erde mitten in der Höhle ein. Die Deutschen schrien: »Raus, raus!« Aber wir blieben wie angewurzelt stehen. Noch ein Schuss fiel, und noch einer. Und wieder einer. Die Kugeln pfiffen in unseren Ohren und schlugen in die Erde zu unseren Füßen ein. Wir waren wie gelähmt - und das hat uns wahrscheinlich davor bewahrt, uns den Deutschen zu ergeben.
    Wir hörten noch ein paar leise Stimmen, dann nichts mehr, und plötzlich eine erneute Gewehrsalve. Die Kugeln streiften Vaters Schuhe. Er muss wahnsinnig erschrocken sein, aber er regte sich nicht. Wir standen alle unter Schock und rührten uns nicht. Ich erinnere mich nicht, wie lange dieser Terror dauerte, aber schließlich herrschte eine drückende Stille. Die Stimmen über uns entfernten sich, bis alles wieder völlig ruhig war. Wir zitterten, weinten und rangen nach Luft. Aber als wir uns zusammenrissen, wussten wir, dass wir eine Entscheidung treffen mussten. Mit Sicherheit mussten wir in einen anderen Keller ziehen.
    Noch am selben Tag kam Vincent, er war sehr aufgeregt und erzählte, dass irgendjemand im Dorf die Deutschen informiert haben müsse, denn sie seien plötzlich aufgetaucht und direkt zu den Höhlen marschiert, um die Menschen, die sich dort versteckten, auszuheben. Sie hätten eine Gruppe von Juden gefunden und mitgenommen. Sie würden vielleicht zurückkommen, sagte Vincent, und dann würden sie

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