Weinen in der Dunkelheit
abzuwaschen und am Abend die Glatze zu massieren.
Ich haßte die Bäckersfamilie und freute mich riesig, wenn es Sonntagabend zurück ins Heim ging. Kuchenpakete erhielt ich auch bald nicht mehr. Den Fragen der Mädchen versuchte ich auszuweichen. Mir war es peinlich, darüber zu reden, was für ein Pech ich hatte.
Weihnachten! Gespannt saß ich bei den Bäckersleuten in meinem Zimmer und wartete auf ihr Rufen. Dabei sah ich mich im Zimmer um, nichts deutete auf Weihnachten hin. Die alte Lampe strahlte ein wenig warmes Licht in den Raum, aber es fehlte an grünen Tannenzweigen, und ich vermißte meine Freundinnen.
So saß ich auf der alten Liege am Tisch und blickte auf das Radio. Ob sie wohl Weihnachtsmusik spielen?, überlegte ich, traute mich jedoch nicht, es einzuschalten.
Von weitem hörte ich die Glocken läuten, bestimmt war es schon fünf Uhr nachmittags, aber ich wurde noch nicht ins Zimmer gerufen.
Im Heim erwarteten wir das Fest immer sehnsüchtig. Lange vor Heiligabend studierte jede Gruppe ein Märchen ein. Der Tagesraum wurde verschlossen, vor die Schlüssellöcher hängten die Erzieher Waschlappen. Trotzdem hockten wir davor, um durch irgendeine Ritze etwas zu sehen. Wenn dann zum ersten Advent das erste Licht am Kranz im Speisesaal angezündet wurde, waren wir Kinder sehr still und warteten auf den Heimleiter. Er stellte für uns die Vaterfigur dar, wie wir sie uns immer wünschten. Herr Huhne hatte volles, graues Haar und war groß und schlank. Seine blauen Augen strahlten viel Wärme und Güte aus. Wenn er mit uns sprach, redete er leise, aber deutlich. Seine Stimme war angenehm tief. Liebevoll nannten wir ihn Vater Huhne; er kannte uns alle mit Namen. Die meisten Erzieher redeten uns einfach mit »He, du« an oder fragten erst, wie wir hießen. Nie schickte er ein Kind weg, wenn es mit Sorgen zu ihm kam.
Herr Huhne betrat mit seiner Spieluhr den Saal, und wir hörten schöne Weihnachtsmelodien. Dann sprach er über Weihnachten, und gemeinsam sagen wir zum Abschluß ein Lied.
Zum zweiten und dritten Advent stellten die Erzieher Weihnachtsbäume auf, die jeden Abend leuchteten.
Die Erzieher ließen uns Wunschzettel schreiben. Kinder, die noch Eltern hatten, durften sich im Wert von zehn Mark etwas wünschen. Halbwaisen mußten die Grenze von fünfzehn Mark einhalten, und die Vollwaisen bekamen ein Geschenk für zwanzig Mark. Ich gehörte zu den Zwanzig-Mark-Kindern. Natürlich überschritten meine Wünsche immer die Grenze. Meistens kauften die Erzieher Dinge für die Schule. Obwohl wir das wußten, warteten wir trotzdem gespannt auf den 24. Dezember jeden Jahres. War es endlich soweit, gingen wir in Sonntagssachen in den Speisesaal. Ungeduldig sahen wir die Aufführungen, sangen unsere Lieder vom Frieden und erhielten von den Patenbrigaden der Betriebe Gruppenweihnachtsgeschenke. Anschließend machten wir einen Spaziergang durch den Kiefernwald beim Heim. Auf den einzelnen Zweigen brannten Wunderkerzen, und ein Erzieher oder Schüler, verkleidet als Weihnachtsmann, verteilte Süßigkeiten an uns. Danach gingen wir in unsere Gruppen. Der Tagesraum wurde aufgeschlossen, und Hand in Hand traten wir leise ein. Unter dem Baum sangen wir noch einmal, dabei versuchten wir, die Namensschilder auf den festlich gedeckten Tischen zu entziffern. Nach dem Lied begann das Suchen, Rufen und Schubsen. Jeder wollte sein Geschenk zuerst finden. Beim Abendessen saßen wir mit unserer besten Freundin zusammen, wir freuten uns über die kleinen Überraschungen, die wir uns gegenseitig machten. Die Nachtruhe wurde nicht streng eingehalten, wir gingen ins Bett, wenn wir müde waren oder die Nachtwache ihren Dienst begann. Es waren schöne Abende.
Ich hörte, wie die Tür ging, und wurde ins Wohnzimmer der Bäckersfamilie geholt. Die Frau zeigte mir einen Platz, dort lagen zwei Äpfel und zwei Apfelsinen.
Erst dachte ich: Gleich holen sie die Überraschung aus dem Schrank; als sie mir aber fröhliche Weihnachten wünschten, wußte ich, daß die vier Früchte mein Geschenk waren. Obwohl ich fast vierzehn Jahre alt war und nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte, war ich den Tränen nahe. Schrecklich traurig verbrachte ich den Abend in meinem Zimmer, die Pflegeeltern fuhren zu ihren Verwandten.
Zwischen Weihnachten und Silvester putzte und schrubbte ich nur im Laden. Am Silvesterabend kotzte die Bäckerin den Laden voll; ich haßte sie so sehr, daß ich wünschte, sie würde in ihrer Kotze ausrutschen, doch sie
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