Weinen in der Dunkelheit
forderte von mir, den Dreck wegzuwischen.
Im Haus wohnten Jungs in meinem Alter, sie fragten mich, ob ich um zwölf Uhr runterkäme. Ich versprach es. Ich weiß nicht mehr, wie viele Pfannkuchen ich mit Marmelade gefüllt hatte, ich konnte die Dinger nicht mehr sehen. Kurz vor Mitternacht schickte mich die Bäckerin ins Bett. Unter meiner Decke verfluchte ich sie. Als die Knallerei vorbei war, torkelte sie betrunken in mein Zimmer und schmatzte mich mit ekligen Küssen ab, wobei sie mir ein frohes neues Jahr wünschte. Ich versuchte mich aus ihrer Umarmung zu winden. Hoffentlich kommt nicht noch ihr Alter, dachte ich, dann laufe ich weg. Sie roch fürchterlich nach Alkohol, und sentimental lallte sie: »Schlaf schön, mein Kind,«
Ich wünschte ihr den Tod.
Westbesuch zu Ostern
Ostern wurde zum ersten Mal die Mauer für Westberliner geöffnet, sie durften ihre Ostler besuchen. Von der HO kam die Anordnung, die Geschäfte sollten die Schaufenster mit Ware füllen, die Westler sollten nicht denken, daß es uns schlecht ging. Die Bäckerin jammerte schon vorher, daß sie danach alles wegwerfen müßte. Hartes Brot oder Schrippen kauft doch keiner mehr, dabei schummelte sie oft altes Zeug zwischen frische Backwaren. Die gesamte Familie aus Ost und West wurde von den Bäckersleuten erwartet. Am Tag zuvor drillte sie mich darauf, den Wein von der richtigen Seite einzuschenken. Von morgens bis abends schuftete ich wieder in der Küche. Am gemeinsten fand ich, daß sie mich zum Frisör schickte. Der verpaßte mir eine Dauerwelle, daß ich wie meine eigene Großmutter aussah.
Der große Tag fing bei mir mit Bauchkrämpfen an. Ich ging zum Klo und sah, daß ich meine Tage bekam. Nirgends entdeckte ich Watte. In meiner Not faltete ich Klopapier, legte mir das harte Zeug in meinen Schlüpfer und verkroch mich ins Bett.
Es war schon oft so gewesen, daß ich mich gerade zum ungeeignetsten Zeitpunkt damit herumquälen mußte. Zum ersten Mal bekam ich sie mit elf Jahren im Ferienlager. Den ganzen Nachmittag hatte ich wahnsinnige Bauchschmerzen, machte aber trotzdem die Wanderung mit. Erst am nächsten Morgen, beim Fahnenappell, spürte ich etwas Unangenehmes zwischen den Beinen. Zum Glück stand ich in der letzten Reihe; heimlich schlich ich mich davon und rannte zur Toilette. Schnell zog ich meine Hose herunter - und schrie wie eine Verrückte. Ich sah nur Blut. Der Schlüpfer, meine Schenkel, alles voller Blut. Ich hockte auf dem Holzdonnerbalken, heulte und dachte: Jetzt sterbe ich. Doch dann lief ich zur Erzieherin.
»Ich glaube, ich sterbe«, heulte ich.
Sie beruhigte mich und sagte:
»Nein, daran stirbt man nicht. Das bekommen alle Mädchen und Frauen. Schon längere Zeit habe ich deine Entwicklung beobachtet und wollte mit dir darüber sprechen. Nun ist es eher gekommen, als ich dachte.« Dann fügte sie hinzu:
»Noch einen Rat möchte ich dir geben, sieh dich ab heute vor den Jungs vor.«
Nach dieser Mahnung gab sie mir Watte, und ich fragte mich, was die Jungs damit zu tun hatten.
Die ersten Gäste trafen ein, ich lief zur Toilette, um das Papier zu wechseln. Eine sehr elegant gekleidete Frau begegnete mir.
»Wer bist du denn?«
Vor Schmerzen konnte ich nicht antworten, ließ sie stehen und legte mich wieder ins Bett. Draußen im Flur hörte ich die Stimme eines alten Mannes.
»Das Kind hat aber einen langen Schlaf.«
Darauf antwortete die Bäckerin:
»Die weiß, daß Arbeit wartet, deshalb liegt sie faul im Bett.«
Oh, wie ich sie haßte. Stöhnend wälzte ich mich hin und her, als die schicke Frau plötzlich mein Zimmer betrat. Sehr liebevoll strich sie mir über das Haar und fragte:
»Hast du deine Mensis?«
Den Ausdruck kannte ich noch nicht, ahnte aber, daß sie damit meine Tage meinte, und sagte:
»Ja.«
Darauf verließ sie das Zimmer und kam mit der ungewohnt freundlichen Bäckerin zurück.
»Ach, mein liebes Kind, das hättest du mir doch gleich sagen können!«
Eher wäre ich gestorben, als ihr meinen Kummer zu erzählen. Nachdem sie mich mit Watte und einer schmerzstillenden Tablette versorgt hatte, stellte sie mich ihren Gästen als armes Waisenkind vor, dessen sie sich angenommen habe. Dafür heimste sie bei allen Bewunderung ein. Hätte man mir im Heim nicht Gehorsam gegenüber Erwachsenen eingetrichtert, hatte ich allen entgegengeschrien, was für eine Hexe sie ist.
Im Heim erzählte ich nun alles meiner Freundin, von Weihnachten und meinen Diensten. Auf irgendeine Weise hörte die
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