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Weinen in der Dunkelheit

Weinen in der Dunkelheit

Titel: Weinen in der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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noch Staub zu saugen und zu wischen, ist doch nicht viel.«
    Sie lächelte gekünstelt. Gegen elf Uhr rauschte sie mit den Worten »Viel Spaß« davon. Vor dem Abwaschberg, der bestimmt seit einer Woche stand, graute mir nicht sehr, eher vor dem Staubsauger. Ich wußte nicht, wie er funktionierte. Aus dem Heim kannte ich nur Bohnerwachs und Bohnerbesen.
    Not macht erfinderisch. Ich nahm einfach den Besen und fegte den nicht zu sehenden Staub zur Seite.
    Die leichteste Übung war das Staubwischen, aber o Schreck, auf dem Schreibtisch des Bäckers lagen Zähne. Ist das möglich, dachte ich, wie kann man seine Zähne herausnehmen, das muß ja weh tun. Zaudernd und voll Abscheu umging ich sie mit dem Tuch. Ich ahnte ja nicht, daß es ein Gebiß war. Im Heim konnte kein Kind die Zähne herausnehmen, und bei den Erziehern hatte ich so etwas noch nie gesehen.
    Als die Bäckerin zurückkam, machte sie gleich einen Kontrollgang in die Küche. Sie schrie laut auf:
    »Was, soll das etwa abgewaschen sein?«
    Mir blieb fast das Herz stehen. Dabei hatte ich mir so große Mühe gegeben. Mich erschreckte der Ton ihrer Stimme. Böse, keifend kam sie ins Wohnzimmer. Heimlich schaute ich schnell nach unten, zum Glück entdeckte ich nirgendwo Staub und sie auch nicht. Ich war froh, daß ich im Heim gelernt hatte, mit einem Besen umzugehen.
    Sie hatte sich schon beruhigt, da entdeckte sie die Zähne, die noch ordentlich auf ihrem alten Platz lagen. Sie packte meinen Arm und zog mich zum Schreibtisch, zeigte auf ein Wasserglas, das neben den Zähnen stand.
    »Da, mein liebes Kind, da gehören die Zähne hinein.«
    »Ich dachte, in den Mund«, hörte ich mich plötzlich sagen. Kaum war es heraus, staunte ich über mich selber. Woher nahm ich den Mut, ihr so eine Antwort zu geben? Nun war es mit ihrer bis dahin mühevoll erhaltenen Selbstbeherrschung endgültig vorbei. Rot vor Zorn schrie sie:
    »Freche Heimgöre! Deine Mutter wird schon gewußt haben, weshalb sie dich ins Heim geschickt hat!«
    Damit traf sie meinen wundesten Punkt. Heulend lief ich in mein Zimmer und bedauerte mich, wobei ich mir nichts sehnlicherwünschte, als wieder im Heim zu sein.
    Stundenlang sah ich auf die Uhr. Die Zeiger sollten schneller gehen, aber die Uhr tickte gemächlich vor sich hin. Nachmittags um fünf Uhr hielt ich es nicht mehr aus. Ich ging ins Wohnzimmer und verlangte: »Bringt mich ins Heim zurück, ich muß noch Schularbeiten machen!«
    Das wollten sie nicht. Freundlich boten sie mir ihren Kuchen an. Obwohl ich den ganzen Tag nichts gegessen hatte, lehnte ich ihn ab. Sie hatten bestimmt Angst, daß man mich fragen würde, weshalb ich so früh vom Ausgang zurückkäme. Niedergeschlagen setzte ich mich in die äußerste Ecke des Sofas und fühlte mich nicht dazugehörend, sondern als störend in dieser Familie. Plötzlich erhob sich der Bäcker, ging zum Schrank und holte eine kleine braune Flasche heraus. Dann drehte er sich zu mir und sagte betont freundlich:
    »Komm, Kleine, massier mir den Kopf damit; kriegst auch fünfzig Pfennig dafür.«
    Ich wagte keinen Widerspruch. Schüchtern trat ich von hinten an ihn heran. Mein Blick fiel auf seine Glatze, die noch vereinzelt mit Haaren bestückt war. In mir kroch der Ekel hoch, ich wollte ihn nicht berühren. Dennoch tat ich, was er von mir verlangte. Voller Wut schüttete ich den ganzen Inhalt der stinkenden Flüssigkeit über seine Glatze. Er kicherte komisch:
    »Vorsicht Kindchen, nicht so viel auf einmal!«
    Während meine Finger wie wild auf seiner Glatze herumrieben, am liebsten hätte ich darauf herumgeschlagen, glotzte seine Frau desinteressiert in die Röhre. Scheiß-Pflegeeltern, dachte ich.
    Im Heim warteten die Mädchen am Tor auf mich und das Kuchenpaket. Sie gratulierten mir alle zu den tollen Pflegeeltern, und als ich die lachenden Gesichter sah, brachte ich es nicht fertig, ihnen zu sagen, wie traurig das Wochenende für mich gewesen war. Ich wollte ihnen nicht die Illusionen über ihre zukünftigen Eltern nehmen. Jede von ihnen konnte schon morgen das Glück oder Unglück haben, Pflegeeltern zu bekommen. Dann sollten sie ihre eigenen Erfahrungen machen.
    Nun begann für mich das Dienstleben eines Heimkindes. In der Woche spielte ich mit meinen Freundinnen, und an den Wochenenden arbeitete ich bei den Bäckersleuten. Jeder Sonntagmorgen begann damit, der Bäckersfrau das Frühstück ans Bett zu bringen, danach die Wohnung zu säubern, anschließend den Laden zu wischen und Tabletts

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