Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weinen in der Dunkelheit

Weinen in der Dunkelheit

Titel: Weinen in der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
Gewimmel der vielen Soldaten, die noch hinein wollten, erreichte ich den Ausgang. Die Soldaten grapschten nach mir und pöbelten mich an. Auf der Straße drehte ich mich suchend nach Erika um. Sie war schon fast an den Soldaten vorbei, als plötzlich einer, ein Offizier, ausholte und ihr einen kräftigen Schlag auf den Hintern gab. Blitzschnell schlug Erika ihm ins Gesicht, so daß ihm die Mütze vom Kopf flog, und rannte mir nach. Mir erstarb das Lachen auf den Lippen, als ich sah, wie er Erika hinterherlief. Ich konnte nur noch »Erika« rufen, da hatte er sie auch schon und versuchte, auf sie einzuschlagen. Erika, groß und kräftig, wehrte den Schlag ab und scheuerte ihm noch eine. Zum Glück kam der Bus, wir rannten los. In letzter Sekunde erreichten wir ihn und entwischten dem Schläger. Aufgeregt und wütend über die Kerle, nahmen wir uns vor, dort nicht mehr tanzen zu gehen.
    Der Mode entsprechend liefen wir mit langen Haaren und kurzen Röcken, die knapp unter dem Po endeten, umher. Auch die Jungs ließen sich die Haare wachsen. Einige hatten so langes, dichtes und welliges Haar, daß sie von hinten wie Mädchen aussahen. In der Schule war das lange Haar für Jungen verboten, deswegen banden sie es mit Gummi zusammen und steckten den Zopf in den Hemdkragen. Viele hatten aber Pech, sie wurden von der Polizei auf der Straße angehalten und gewaltsam zum Frisör gebracht. Anschließend mußten sie dann auch noch die Rechnung bezahlen. Die Erwachsenen wußten nichts Besseres als schlaue Sprüche klopfen, wie: »Je länger die Haare, desto kürzer der Verstand« oder »Das sind ja bloß alles Gammler, blöd und dreckig.«
    Auch ich mußte mir das oft anhören, ob ich wollte oder nicht. Plötzlich, mitten auf der Straße, fingen die Erwachsenen ohne Grund an, über mich und die heutige Jugend zu meckern. Ich konnte den Satz »Zu meiner Zeit hätte es so etwas nicht gegeben« schon nicht mehr hören. Wir waren jung und wollten für uns sein, ohne die ständigen Vorschriften und Ermahnungen, und so trafen wir uns in kleinen Gruppen privat oder auf Konzertveranstaltungen der Ost-BeatGruppen. Westfernsehen war im Jugendwohnheim verboten, genau wie im Kinderheim. Den Beatclub sah ich heimlich bei Schulfreundinnen, wenn die Eltern nicht zu Hause waren. Ein Mädchen hatte sehr tolerante Eltern, sie durfte sich die Wände mit Postern von Westgruppen bekleben, die sehr teuer unter der Hand verkauft wurden. Bei ihr sah ich dann Westsendungen, und wir redeten über die Jungs in unserer Schule. Wenn wir Jugendlichen uns trafen, sahen wir alle gleich aus. Langes Haar, Jeans, egal, wie alt, und Parkas, egal, woher.
    Bei Rotwein saßen wir zusammen, redeten von den neuesten Westgruppen, der Mauer, der Liebe und der Freiheit, nach der wir uns sehnten. Wir lachten und waren einfach nur glücklich. Viele aus unserem Kreis waren Studenten oder Lehrlinge, wenige gingen noch zur Oberschule.
    Von wegen Hilfsarbeiter oder Asoziale! Warum wurden wir nur nach unserem Äußeren beurteilt? Immer standen uns die Erwachsenen ablehnend gegenüber. Lag es an unserer Jugend oder weil wir uns selbstbewußter verhielten als sie sich früher? Keiner hatte den »Knigge«, das Buch über gute Umgangsformen, gelesen. Wir machten keinen Knicks mehr.
    Aber ob man lernte, studierte oder arbeitete, das war ganz egal. Wir waren jung, und das war das eigentliche Problem. Wie konnten sie von uns für sich Verständnis erwarten, wenn sie uns nicht verstanden. Und daß es ihnen in ihrer Jugend schlechter gegangen war, dafür konnten wir doch nichts. Sie sollten sich lieber freuen, daß wir es besser hatten, ohne Krieg und Hungersnot. Parolen hatten sie ja reichlich: »Alles für die Zukunft unserer Kinder.« Aber dafür erwarteten sie ewige Dankbarkeit in Form von Gehorsam und Anpassung. Es war unmöglich, mit ihnen auf einer Welle zu schwimmen.
    Hinter unserem Jugendheim gab es einen Laden, der nannte sich Twistkeller. Lange vorher mußte man sich nach Karten anstellen, um hineinzukommen. Dort spielten die Jazzer. Licht, Qualm von billigen Zigaretten Marke Karo oder Real und Bier machten den Keller gemütlich. Vor allem traf ich hier interessante Gestalten. Sie trugen lange Barte und Haare, alte Lewis-Hosen, die bald vom Hintern zu fallen drohten, erzählten verrückte Geschichten aus ihrem Leben, all das zog mich magisch an. Sehr bald merkte ich aber, daß sich die Gespräche wiederholten. Die sogenannten Intellektuellen, die nur redeten und nichts taten,

Weitere Kostenlose Bücher