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Weinen in der Dunkelheit

Weinen in der Dunkelheit

Titel: Weinen in der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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die isoliert von der Außenwelt in dem Glauben erzogen worden war, daß in der DDR alles gut und schon und richtig sei und wir dem Staat alles zu verdanken hätten, ich empfand, daß alle Vorstellungen von der Freiheit und dem Leben in der sozialistischen Gemeinschaft Lügen waren. Wie selbstverständlich hatte ich die Funktionen in der Pionier- und FDJ-Organisation ausgeübt. Und jetzt sah ich so etwas!
    Die Polizisten schlugen auf alles, was lange Haare hatte, besonders ein. Es schien für mich keinen Ausweg der Flucht zu geben. Brüllende Bullen und schreiende Menschen. Die Frau schrie:
    »Nazischweine, ihr habt mein Handgelenk gebrochen!«
    Sie heulte wie ein Tier. Zivilbeamte versuchten, sie in ein Auto zu bringen. Wie ein Orkan tobte die Menge. Mit Gewalt trugen sie die Frau zum Auto, dabei verlor sie einen Schuh. Der fiel neben mich, ich hob ihn auf und warf ihn mit den Worten durch das offene Fenster des Autos:
    »Sie kann nicht weglaufen, dazu braucht sie ihre Schuhe!«
    Plötzlich stand ich einem Lehrer unserer Berufsschule gegenüber. Ein eisiger Schreck durchfuhr mich. Ich machte, daß ich wegkam. Als ich nochmal zurückschaute, traute ich meinen Augen nicht: Er stieg in das Auto, freiwillig!
    In den Neubauten sah ich Jugendliche breitbeinig in den Hausfluren mit dem Gesicht zur Wand stehen. Die Arme hatten sie über ihren Köpfen erhoben, dabei wurden sie von Zivilisten abgetastet. Ein Junge sagte etwas, ein Zivilist schlug ihm von hinten an den Kopf, so daß er gegen die Wand prallte. Ich konnte gerade noch sehen, wie der Junge sein Gesicht herumdrehte, dabei schoß ihm das Blut nur so aus der Nase. Angesichts dieser Brutalität änderte ich meine bis dahin unbedarfte Einstellung zu diesem Staat.
    Als ich schließlich im Heim war und im Bett lag, konnte ich lange nicht einschlafen. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen.
Die Mao-Plakette
    Mao Tse-tung kam in Mode. Die kleine goldene Plakette wurde mit hundertfünfzig Mark gehandelt. Aber wenn man von der Polizei mit einer erwischt wurde, mußte man mit Bestrafung rechnen. Wer sie trug, war der King, unwichtig, weshalb und warum, man mußte sie nur haben. Ich hatte keine Ahnung, was in China los war. Als die Kulturrevolution ausbrach, war China plötzlich auch unser Klassenfeind. Im Heim durften wir keine Bilder aus China mehr an der Wand haben, warum und weshalb, erfuhren wir nicht. Zwei Jungs aus meiner Klasse waren scharf auf diese Plakette. Sie überredeten Marie und mich, mit ihnen gemeinsam in die chinesische Botschaft zu gehen, dort hätten sie vielleicht die Chance, eine zu bekommen.
    Gesagt, getan. Gleich nach der Schule fuhren wir bei strömendem Regen nach Karlshorst. Vor der Tür liefen Polizisten auf und ab. Was die wohl machen, wenn sie sehen, daß wir in die Botschaft wollen, fragte ich mich.
    »Kommt, wir rennen einfach auf die Tür zu; wenn wir einmal dort sind, können sie nichts mehr machen.«
    Wir rannten zur Tür, die glücklicherweise nicht verschlossen war. Noch ehe wir uns überlegen konnten, was wir sagen wollten, stand ein kleiner, lächelnder Chinese im grauen Anzug vor uns und begrüßte uns mit den Worten:
    »Bitte, kommen Sie herein, ich schicke gleich einen Genossen.«
    Dabei führte er uns durch mehrere Räume, an deren Wände riesige Plakate und Fahnen mit Maos Bild hingen; sie sahen wie überdimensionale Wandzeitungen aus. In einem kleineren Zimmer standen auf einem Plakat in deutscher Sprache die Worte: Mao, die Sonne unseres Herzens. Hier bat er uns, Platz zu nehmen, und verschwand. Wir nutzten die Gelegenheit, uns abzusprechen, welche Fragen wir stellen wollten. Nachdem uns ein zweiter chinesischer Genosse begrüßt hatte, fragte er uns, ob wir noch Schüler seien. Er sprach perfekt deutsch. Wir sagten, wir seien Lehrlinge und wollten uns gerne über die Kulturrevolution informieren, da wir darüber nichts wüßten. Dabei schauten wir nur auf seine Plakette. Nach der Kulturrevolution zu fragen, erwies sich als Fehler, denn jetzt erfolgte ein zweistündiger Vortrag über Chinas Kultur und Revolution. Dem Chinesen waren alle Agitationsmethoden vertraut, von der ruhigen, begeisterten bis zur mitreißenden. Er ließ sich nur einmal in seinem Vortrag stören, indem er sich ungeniert mit einem Finger eines Popels entledigte. Der grinsende Maoredner mit dem Finger in der Nase. Obwohl ich mich ekelte, kam mir das Lachen, was ich mir anstandshalber verkniff. Die anderen zuckten auch mit den Mundwinkeln. Den Vortrag schloß er

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