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Weinen in der Dunkelheit

Weinen in der Dunkelheit

Titel: Weinen in der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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standen, hingen noch mehr Stoffetzen in bunten Farben und riesige Köpfe der Bonzen aus Pappe. Überall begeg-nete man einem von ihnen im Anzug, mit Schlips und Bonbon (Parteiabzeichen).
    Nach der Schule lief ich mit Marie durch die Stadt, wir suchten ein Kleid für ihre Verlobung. Verloben mit vergoldeten Ringen war gerade groß in Mode, und jeder, der einen Freund oder eine Freundin hatte, versuchte, eine Verlobung daraus zu machen. Am Alex fanden wir im Kaufhaus ein Kleid, das ihr gefiel. Bei diesem Kaufhausbummel entdeckten wir auch die häßlichen, blumenbedruckten Papierkleider, die man nach dreimaligem Waschen wegwerfen mußte. Sie faßten sich wie Fließstoff an. Nachdem wir noch einen hübschen »Liebestöter« gefunden hatten - eine bunte, elastische Unterhose mit langen Beinen -, als Ersatz für die kaum erschwingliche Strumpfhose, sagte sie »Tschüs« und fuhr nach Hause.
    Was soll ich nun mit dem angefangenen Ausgangsabend machen? überlegte ich. Zum Glück traf ich eine Freundin.
    »Hallo, was machst du denn hier?« fragten wir gleichzeitig.
    Darüber mußten wir so lachen, daß wir, angegak-kert, wie wir waren, beschlossen, uns etwas Außergewöhnliches zu gönnen. Sie hatte Lehrlingsgeld bekommen und lud mich zum Essen ein. Das war leichter gesagt als getan. Die Tische in den Restaurants zierte ein und dasselbe Wort: »Reserviert.« Einige Kneipen hatten ganz geschlossen. Mit dem Schild »Geschlossene Gesellschaft« verkündeten sie ihre Parteizugehörigkeit. Langsam reichte uns die Wanderung durch das rote Berlin, wo Lehrlinge wie wir, ohne Bonbon, keinen Einlaß fanden. Uns blieb noch eine Variante offen, ein Hotel. Aber auch dort hing ein Schild am Eingang, diesmal mit der Aufschrift: »Bitte warten, Sie werden plaziert«, als ob man zu dumm sei, seinen Platz selbst zu suchen. Wir gingen einfach an den wartenden Gästen vorbei. An der Bar bekamen wir übereck zwei freie Hocker. Freundlich säuselnd fragte der Barmensch hinterm Tresen nach unseren Wünschen. Mein einziger Wunsch war, schnell zu essen und dann das Lokal wieder zu verlassen.
    Wir waren offenbar nicht die richtigen Gäste, denn sein Wunsch schien dem unseren gleichzukommen. In Windeseile brachte er unsere Bestellung. Unter den vielen Genossen fühlte ich mich fehl am Platz, und gierig schlang ich das Essen hinunter. Plötzlich sagte Renate zu mir:
    »Du, der Dicke neben mir hat gesagt: Einmal Anfassen fünfzig Mark!«
    »Wie bitte? Ich verstehe dich nicht. Was sollst du einmal anfassen?«
    Sie lachte leise und sagte:
    »Na, den Schwanz!«
    Mir wurde übel. Jetzt begriff ich, woher der Ausdruck »Parteischwein« kam. »Wehe, du machst es«, drohte ich.
    Wir bezahlten schnell die Rechnung und verließen das Hotel. Der Dicke verfolgte uns, und ehe ich etwas sagen konnte, sah ich, wie Renate ihm an die Hose ging.
    »Bist du verrückt?« zischte ich ihr zu. »Wenn es unbedingt sein muß, so laß dir erst die Kohle geben! Der lacht sich später ins Parteifäustchen!«
    Er merkte ziemlich schnell, daß ich für ihn eine Behinderung war, und versuchte, mich zu locken, indem er jeder von uns hundert Mark für einmal Anfassen bot. Schnell reifte in mir ein Plan, und ich flüsterte Renate zu:
    »Ich laß mir das Geld zeigen, und wenn er es hochhält, dann nimm es von hinten und renn damit los!«
    In seiner Geilheit war er sofort bereit mir das Geld zu zeigen. Er holte zwei blaue Scheine aus seiner Brieftasche, hielt sie über seinen Kopf und sagte:
    »Na komm, Kleine, jetzt nur noch anfassen, und sie sind deine!«
    Renate stand regungslos, da faßte ich zu, aber nicht sein Ding hielt ich in der Hand, sondern die Scheine. Der Dicke wollte retten, was zu retten war, und entriß mir mit einer Schnelligkeit, die ich ihm nicht zugetraut hätte, meine Handtasche. In der Aufregung ließ ich einen Blauen fallen. Blitzschnell bückte er sich und hob ihn auf. In diesem Moment erschien ein Freund und Helfer in Grün, von denen an diesem Abend viele unterwegs waren. Sofort ließ der Dicke meine Tasche fallen und rannte davon. Ich nutzte die Sekunde und schrie:
    »Überfall, Hilfe, der Mann wollte meine Handtasche stehlen!«
    »Das habe ich gesehen«, sagte der Polizist, der ausgesprochen gut aussah. Großgewachsen, mit sehr markanten Gesichtszügen, stand er vor uns, eigentlich ein Mann zum Verlieben. Schade, daß er ein Bulle war.
    »Wartet hier, bis ich zurückkomme«, sagte er und rannte sportlich dem Genossen hinterher. Am S-Bahnhof hatte er den Dicken

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