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Weinen in der Dunkelheit

Weinen in der Dunkelheit

Titel: Weinen in der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Wir verstanden uns überhaupt nicht. Meinem Bruder zuliebe sagte ich, daß ich sie nett fände. Aber ich glaube, er spürte, was ich wirklich dachte.
    Ich hatte Schwierigkeiten damit, mich fremden Menschen zu öffnen, und benahm mich so, wie sie es von einer aus dem Heim erwarteten. Wirkliche Offenbarung meiner Gefühle hätte für Außenstehende bedeutet, sich mit mir zu beschäftigen, und das erforderte Zeit, die keiner hatte. Schon sehr früh, seit Christians Unglück, hatte ich das begriffen. Mit meiner Maske konnte ich die Erwartungen an uns Heimkinder gut erfüllen. Lachen, wo es nichts zu lachen gab, Weinen in der Dunkelheit und immer das letzte Wort.
    Meine Freundin Erika sah ich sehr selten; sie arbeitete im Schichtarbeitersystem in einer Kaufhalle und war vollauf mit ihrem Urlaubsfreund, dem Soldaten, beschäftigt. Dieser nutzte jede freie Stunde, um nach Berlin zu kommen. Mit dem Jungen aus dem Heim schrieb sie sich auch noch; sie war zu feige, ihm die Wahrheit zu sagen. Mir wollte sie erzählen, daß er ihr leid tue. Na gut, das war nicht mein Problem, sollte sie allein ihre Entscheidung treffen.
    Abschied! Kuhauge eröffnete mir eines Tages:
    »Du ziehst mit deinen Sachen nach oben in ein Mansardenzimmer und wohnst so lange dort, bis wir dich nach Bad Saarow schicken.«
    Alle schwangeren Mädchen wurden ab einem bestimmten Termin ins Müttererholungsheim gebracht. Ich hatte schon oft die Gelegenheit, mitzuerleben, wie sie weinten, wenn sich zwei Freundinnen trennen mußten. Die Versprechungen auf einen Besuch konnten die wenigsten einhalten, da die Reise nach Bad Saarow durch die ungünstigen Zugverbindungen nicht mit den Besuchszeiten und den Ausgangszeiten zusammenzubringen war.
    In einem Zweibettzimmer unter dem Dach des Heimes, mit Blick auf die grünen Baumkronen des hinteren Kindergartens, fühlte ich mich so wohl und geborgen, daß ich weder meine Freundin vermißte noch die anderen Mädchen. Hier oben genoß ich die Ruhe, die mir bewußt machte, wie sehr mir der Krach im Heim auf die Nerven ging.
    In letzter Zeit fand ich die Situation in unserem Zimmer schon unerträglich. Zu sechs verschiedenen Zeiten in den ersten Morgenstunden erschien die Nachtwache und weckte jeweils ein Mädchen. Zur Sicherheit klingelte aber bei allen noch einmal der Wecker. Wenn ich um acht Uhr in der Schule sein mußte, war ich also schon um halb fünf das erste Mal wach. Bis zum Aufstehen war das Einschlafen nicht mehr möglich, und so fühlte ich mich ständig müde.
    Ein kleiner Denkzettel.
    Eines Abends ging ich sehr früh ins Bett, ich hatte nur den einen Wunsch, mich mal richtig auszuschlafen.
    Plötzlich flog die Tür mit einem Knall auf, das Licht blendete mich, und Maria trampelte durchs Zimmer zu ihrem Schrank, nahm etwas heraus und warf die Schranktüren wieder zu. Dann trampelte sie zurück, ließ das Licht brennen, und die Zimmertür fiel krachend ins Schloß.
    Wegen ihrer rücksichtslosen Art hatte irgendeine von uns immer mit ihr Streit. Dieses Mal reichte es mir. Ich wollte ihr einen Denkzettel verpassen.
    Ich ging eine Etage tiefer zu den Arbeitermädchen, mit denen ich mich gut verstand, und bat sie, mir einen Gefallen zu tun. Zwei Mädchen waren von meinem Plan begeistert. Mit großer Schnelligkeit trugen sie Marias Bett ins Treppenhaus und stellten es in die Raucherecke, dazu den Nachtschrank und ihren Stuhl. Dann mußten sie noch die Glühlampe lockerdrehen. Ich bedankte mich lachend und kroch in mein Bett zurück. Erika wunderte sich, daß das Licht nicht anging, als sie ins Zimmer kam und den Schalter drückte. Ich klärte sie auf, und gespannt warteten wir auf Marias Erscheinen zur Nachtruhe.
    Nach und nach lagen alle Mädchen bis auf Maria in ihren Betten und lauerten auf den erhofften Auftritt.
    Als keine mehr glaubte, daß sie überhaupt noch schlafen gehen würde, flog die Tür wie gewohnt mit lautem Krach gegen die Zimmerwand, und der Lichtschalter knipste vergeblich.
    »Scheiße«, flüsterte sie, »die Lampe ist am Arsch!«
    An ihrem Schrank angekommen, schmiß sie sich auf das nicht vorhandene Bett. In diesem Moment gab es ein klatschendes Geräusch, wie wenn nackte Haut auf den Steinfußboden aufschlägt. Wie eine Furie schrie sie los:
    »Das warst du, blöde Sau, Miststück, Nutte! Na warte, du kannst was erleben!« Mit diesen Worten näherte sie sich meinem Bett. Ich drohte fast unter meiner Decke zu ersticken, so hatte ich mein Gesicht darin vergraben, um mir das Lachen zu verkneifen.

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