Weinland & Stahl
auch zu
begreifen
.«
Dr. Selina Maddox' Stimme wisperte noch sekundenlang als geisterhaftes Echo zwischen den gekachelten Wänden, während sie stumm einen Blick auf den gläsernen Tank warf.
Ihre frostblauen Augen schwammen in Zufriedenheit und Triumph.
Doch dahinter rührte sich noch etwas anderes.
Ehrfurcht vor werdendem Leben.
Seit der Zeit, als Brescia Lords noch ihre Lehrerin gewesen war, hatte sie dieses Gefühl nicht mehr verspürt.
Arme Brescia, deren Skrupel ihr die wahre Macht verwehrt hatten...
Dr. Selina Maddox verließ das Labor. Mit Doreen, die bei ihr war, wie immer seit dem Augenblick, da sie zu denken begonnen hatten.
Der Finger der Wissenschaftlerin hörte nicht auf, ihren Bauch zu streicheln, sanft kreisend um den Nabel zu fahren.
Wie von eigenem Leben beseelt.
In der Totenstille klang selbst das Zehren der Flammen an den Kerzendochten wie das Nagen einer Horde hungriger Ratten. Und das feuchte Knirschen, mit dem Homer seine Augzähne aus der leergesaugten Schlagader zog, dröhnte fast in seinen Ohren.
Die Worte, obwohl nur geflüstert, ließen die alles erstickende Glocke, die der Tod über den Raum gestülpt hatte, vollends zerbrechen.
»So hast du es also getan?«
Homer ruckte erschrocken herum. Die Tote entglitt seinem Griff. Ihr nackter, schon vor dem Sterben nicht mehr schöner Leib schlug dumpf auf den Boden.
»Henna?«
Wie ein Schatten, den sie nicht zu werfen imstande war, musste die Vampirin in den karg möblierten Raum geschlüpft sein. Der ekstatische Rausch des Blutmahls hatte Homer regelrecht taub gemacht für alles andere.
Solcherlei Nachlässigkeit konnte gefährlich sein für seine Art. Früher hatte er nie zu Leichtsinn geneigt. Es mochte an der Situation liegen, die seine vampirischen Sinne einschläferte. Es wurde allerhöchste Zeit, sie zu wecken und neu zu schärfen. Zeit, zurückzukehren in gewohnte Gefilde, zu gewohnten Gebräuchen. Mochte Henna sich doch allein mit all dem befassen, weswegen Borak, ihr Sippenführer, sie von Sydney nach New York gesandt hatte. Homers Anteil daran war ohnedies längst erfüllt. Er hatte einzig für den reibungslosen Transport zu sorgen gehabt, und dank seiner jahrzehntelangen Kontakte zum Militär hatte es keinerlei Probleme gegeben.
Henna glitt mit einem wiegenden Schritt näher. Die Abschätzigkeit, mit der sie Homers kompakten, aber keineswegs fetten Körper maß, schürte seine gerade in den vergangenen Wochen gewachsene Abneigung der Vampirin gegenüber. Jeden seiner Versuche, sich ihr in eindeutiger Absicht zu nähern, hatte Henna in beleidigender Art abgeschmettert. Ihr bizarres Äußeres, das dem Bemühen der Alten Rasse um Unauffälligkeit Hohn sprach, schien ihre sexuellen Vorlieben geradezu widerzuspiegeln.
Und doch war es gerade Hennas abartig geschmückter und gestalteter Körper, der Homers Lust bei jeder Begegnung aufs neue anfachte.
Wie auch jetzt...
»Du hast es also getan?«, wiederholte die Vampirin mit dem kurzgeschorenen Haar. Mit dem Kinn wies sie auf Brescia Lords, die nackt und bleich und tot auf dem Boden lag.
Homer zuckte die Schultern.
»Und? Wir brauchten sie nicht mehr. Sie hat ihre Aufgabe erfüllt. Für alles weitere ist Selina Maddox die geeignetere Gentechnikerin. Sie hat ihre einstige Lehrerin längst überflügelt. Brescia Lords war uns doch nur noch ein Klotz am Bein. Nur noch zu einem nutze...«
Wie zufällig leckte Homer letzte Blutreste von seinen Lippen und säuberte dann mit der Zunge seine Zähne von dunklen Stellen.
Henna nickte bedeutungsvoll, während ihr Blick ins Leere stieß und doch ein Ziel zu finden schien.
»O ja, Selina ist zweifelsohne die bessere von beiden. Weil Tabus ihr fremd sind. In jeder Hinsicht...«
Homer musterte die Vampirin, auf deren biegsamen Körper Dutzende von Strasssteinen im Kerzenlicht wie winzige Sterne blinkten. Er wusste, worauf sie anspielte. Aber er konnte sich nicht vorstellen, mit welchen Vorzügen die so unscheinbare Selina Maddox einen sexuellen Gourmet wie Henna zu reizen vermochte.
Und er würde es wohl auch nicht mehr erfahren.
»Ich verlasse New York«, erklärte er knapp.
»Ach was.« Henna lupfte die gepiercte rechte Augenbraue. »Jetzt? So kurz vor dem Ziel?«
»Ziel. Pah.« Homer spie die Worte aus wie übelschmeckendes Blut. »Ich bin mir nicht sicher, ob es ein lohnenswertes Ziel ist.«
»Borak wird das nicht gerne hören«, entgegnete Henna maliziös.
»Ich habe das Gefühl, dass Borak es noch bereuen
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