Weinland & Stahl
dem jungen Farbigen wie Blei in den Gliedern. Lahm näherte er sich den Sitzenden, passierte sie und konnte den Nackten nun von vorne sehen.
Und seine Verblüffung wandelte sich in namenloses Entsetzen!
Seltsamerweise, und er wunderte sich wie auf einer anderen Ebene seines Denkens selbst darüber, hatte er keine Mühe, zu akzeptieren,
was
er da sah. Was er hinter den leicht geöffneten Lippen des Nackten erkannte...
Was – um Gottes willen – hatte ein Wesen wie dieses hier zu suchen?
Wie konnte es
hier
sein, ohne zu... verbrennen, zu Asche zu werden oder was auch immer?
Wie konnte –
– ein Vampir eine Kirche betreten?!
Trotzdem sie nichts verspürte, was eine drohende Gefahr verraten hätte, ließ Heaven Vorsicht walten. Katzengewandt überkletterte sie das verschlossene Tor und schlich lautlos, wie es ihre Natur war, durch das verfilzte Gestrüpp, welches das 'House of Awakening' wie ein bizarr gewachsener Schutzwall umschloss. Schließlich, nachdem sie immer wieder lauernd verharrt hatte, schlüpfte sie in den Schatten, der sich wie eine dunkle Haut um das Gebäude schmiegte.
Aus der Nähe erkannte Heaven, dass die seltsamen Wucherungen des Hauses, die sie von der Straße her ausgemacht hatte, in Wahrheit steinerne Figuren waren, die auf allen möglichen Erkern und Vorsprüngen hockten und die keine realen Vorbilder haben konnten. Es sei denn, der Künstler, von dem sie geschaffen worden waren, hatte zur Inspiration einen Blick in die Hölle werfen dürfen...
Heavens Hände fuhren tastend über die raue Wand des gewaltigen Hauses, als hoffte sie, irgendetwas auffangen zu können. Vibrationen, die von Leben dahinter kündeten. Doch da war nichts. Der Stein fühlte sich tot an.
So wie die erste Leiche, die die Halbvampirin auf der breiten Treppe entdeckte, die zum Eingang führte. Der Mann, dessen Kleidung die eines Pflegers gewesen sein musste, ehe etwas sie regelrecht in Stücke gerissen hatte, starrte hoch in die Gewitterwolken, blicklos, weil seine leeren Augenhöhlen sich mit Regen gefüllt hatten wie zwei winzige überlaufende Tümpel. Der Regen hatte auch das Blut aus seinen Wunden gewaschen, und Heaven dachte bei seinem Anblick an das Opfer einer Operation, bei der man sich nicht hatte einigen können, was man nun eigentlich operieren wollte.
Im Haus selbst fand sie weitere Tote, von denen einige ebenso schlimm aussahen wie die Leiche auf der Treppe, die meisten jedoch noch furchtbarer. Jemand – etwas! – hatte hier nicht einfach nur gemordet, sondern in fürchterlichem Wahn getobt und gewütet. Und Heaven hatte eine Ahnung davon, worum es sich bei diesem
Etwas
gehandelt hatte.
Sie entdeckte verwüstete Labors, die sie ein wenig an
Salem Enterprises
erinnerten, und sie fand hingeschlachtete... Kreaturen, die ins gleiche Bild passten. Selbst jetzt, da die allermeisten dieser Opfer regelrecht zerrissen waren, konnte sich Heaven des Eindrucks nicht erwehren, dass der Tod für sie einer Erlösung gleichgekommen sein musste.
Tiefer und tiefer drang sie in das 'House of Awakening' – wie schrecklich unpassend dieser Name auf einmal war! – vor. Der Gestank kalten Blutes und toten Fleisches begleitete sie auf Schritt und Tritt, und sie erinnerte sich nicht, sich je zuvor so vor einem Ort geekelt zu haben wie vor diesem.
Je weiter sie sich in die Eingeweide des Hauses vorwagte, desto schlimmer wurden die Szenarien. Auf diese Weise konnte sie den Ursprung dieser Blutorgie ausmachen. Die Kraft, der Wahn, die Wut des Berserkers schien sich mit jedem Schritt, den er tat, ein klein wenig verflüchtigt zu haben.
Heaven erreichte den Keller und betrat einen Gang, der von offenen Kammern gesäumt wurde. Darin lagen Wesen, deren ursprüngliches Aussehen Heaven nicht einmal im Geiste zu rekonstruieren versuchte. Sie passierte eine schiefhängende Metalltür, deren freundlicher Pastellanstrich ihr angesichts der Todesfarben ringsum wie Hohn vorkam.
Dahinter reihten sich weitere Labors aneinander, und es war unschwer zu erkennen, woran und womit hier experimentiert worden war. In den Trümmern der Einrichtung erblickte Heaven Geschöpfe, die seltsam unfertig aussahen und deren Wunden nicht allein vom Wüten jenes Wahnsinnigen herrühren konnten, der hier alles zerstört hatte.
Schließlich betrat sie einen weiteren Raum, und sie wusste, dass dies der Ort war, den sie eigentlich gesucht hatte. Obwohl sie längst sicher gewesen war, dass sie nicht mehr finden würde, weshalb sie gekommen war.
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