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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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unsere Straße.«
    Er war vollkommen ruhig. Weder Anspannung noch Sorge
im Ton oder im Gesicht. Ich lockerte bewußt den Griff meiner Finger um das
Lenkrad und versuchte ohne merklichen Erfolg, mich Gerards Entspanntheit
anzugleichen.
    Hoffnungslos. Sogar meine Zähne lagen fest
aufeinander, als wir in die dritte Straße rechts einbogen und sie langsam
hinunterfuhren.
    »Da ist es«, sagte Gerard nüchtern. »Sehen Sie?«
    Ich blickte in die Richtung, in die er zeigte, und
sah ein sehr hohes, geschlossenes Flügeltor in einer ebenso hohen Ziegelmauer.
Auf dem Tor standen in verwitterter weißer Schrift die Worte: Abfüllerei
Bernard Naylor, und darunter war ein Vorhängeschloß, groß wie ein
Kuchenteller.
    Wir würden nicht hineinkönnen, dachte ich. Gott sei
gedankt.
    »Biegen Sie am Ende links ein«, sagte Gerard. »Da
parken Sie, wenn’s geht.«
    Es war einer jener vor dem Aufteilen in Zonen
erbauten Vororte, wo Leichtindustrie als wesentlicher Bestandteil der Gemeinde
zwischen Wohnhäusern beherbergt ist. Als ich den Mercedes am Straßenrand
zwischen einer Reihe von Anwohnerautos geparkt hatte, gingen wir an Spitzengardinen
und Vorgärten voller Gesträuch vorbei, um wieder zu der hohen Mauer zu kommen.
Sie essen ihren Rinderbraten, dachte ich, und den Yorkshire-Pudding und die
Soße … Zehn Minuten nach Mittag, und mein Magen flatterte wie
Schmetterlinge in einem brasilianischen Regenwald.
    Wir gingen langsam, als verträten wir uns die Füße,
und auf der kurzen Straße war nur noch ein anderer Fußgänger, ein älterer Mann,
der geduldig an Laternenpfählen auf seinen Hund wartete.
    Als wir das Tor erreichten, zweieinhalb Meter hoch,
dunkelgrüner, sonnengebleichter Anstrich, blieb Gerard stehen und wandte sich ihm
zu, den Kopf zurück, als würde er die großen weißen Lettern lesen, die sich
quer darüber erstreckten.
    »Auf den Mauern sind Glasscherben eingelassen«, sagte ich.
    »Stacheldraht über der Torkante. Erzählen Sie mir
bloß nicht, Sie können dieses zentnerschwere Schloß knacken.«
    »Nicht nötig«, sagte Gerard friedlich. »Machen Sie
die Augen auf. Bei massiven Toren, die auffällig verschlossen sind, ist oft
noch eine kleinere Tür eingefügt, gerade breit genug für eine Person. Direkt
vor uns, in dem linken Torflügel, haben wir so was, mit einem ganz gewöhnlichen
Schnappschloß, und wenn ich uns da nicht reinbringe, habe ich die besten Jahre
meines Lebens vergeudet.«
    Er beendete die scheinbare Lektüre der Inschrift
auf dem Tor, nahm seinen Bummel wieder auf und warf quasi beiläufig einen
Blick auf die kleine Pforte innerhalb der großen.
    »Rauchen Sie?« sagte er.
    »Nein«, erwiderte ich überrascht.
    »Binden Sie einen Schuh zu.«
    »Gern«, sagte ich verständnisvoll und beugte mich
bereitwillig herab, um meine schnürsenkellosen Slipper zu schnüren.
    »Ein Kinderspiel«, sagte Gerard über meinem Kopf.
    »Was denn?«
    »Treten Sie ein.«
    Verwundert sah ich, daß die schmale Tür bereits
nach innen schwang. Er war so schnell gewesen. Eben verstaute er ein Stück
durchsichtigen Kunststoff in seiner Brusttasche und blickte zu dem Hund
hinüber, der wieder sein Herrchen aufhielt.
    Gerard trat durch das Tor, als gehöre er dorthin,
und mit rasch ansteigenden Herzschlägen folgte ich ihm. Er stieß die Tür hinter
mir zu, und das Schnappschloß schnappte klickend ein. Er lächelte leicht, und
ungläubig erkannte ich, daß er hinter der Müdigkeit und Kränklichkeit insgeheim
sein Vergnügen hatte.
    »Vielleicht sind Leute hier«, sagte ich.
    »Falls jemand da ist … die Tür war auf.
Neugierde.«
    Wir sahen uns das breite Flügeltor von innen an.
Das Vorhängeschloß draußen war zumindest teilweise Schau gewesen: Auf der
Innenseite gab es schwere, in den Boden führende Riegel und eine von Eisen
gehaltene Querstange in Hüfthöhe, so daß kein direkter Druck von außen das Tor
hätte aufbrechen können.
    »Fabriken lassen oft diese Lücke in ihrer Abwehr«,
sagte Gerard, indem er nach unserem Durchschlupf winkte. »Besonders solche
alten, die in Zeiten der Unschuld entstanden sind.«
    Wir waren auf einem großen, betonierten Hof, über
dessen ganze Länge sich rechter Hand ein hohes Ziegelsteingebäude erstreckte;
kleine vergitterte Fensterquadrate durchbrachen das Mauerwerk in zwei langen
Reihen, eine oben, eine unten. Am anderen Ende des Hofes, uns gegenüber, lag
ein einstöckiges modernes Bürogebäude in Fertigbauweise, und unmittelbar zu
unserer Linken lag ein

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