Weinprobe
Naylor-Young. Versuchen wir es mit der Fabrik selbst.«
Er sperrte hinter uns den Büroblock ab und hob die
Augenbrauen, um eine Entscheidung von mir zu hören.
»Probieren wir’s da drüben«, sagte ich und wies auf
das Gebäude neben dem Bedford-Transporter. »Schauen wir erst mal, was da drin
ist.«
»Gut.«
Zwei Flügeltüren waren in die lange kahle Wand
eingefügt, und nachdem ich es mit »Flaschenlager« und »Tanks« versucht hatte,
stellte ich fest, daß »Versand« auf eine von ihnen paßte.
Die Angeln knarrten, als ich die Tür aufzog. Mein
Körper hatte die gesonderten Nervenreaktionen fast aufgegeben – wie konnte man
an manchen Stellen schwitzen, während einem der Mund austrocknete? Wir traten
in das Gebäude und sahen, daß es sich um ein Lager für bereits auf Flaschen
gezogene, versandfertig in Kartons verpackte Ware handelte.
Es gab viel mehr Platz als Ware. Drei einsame
Paletten waren mit Kisten beladen, die die Aufschrift trugen »Hauswein – Rot«,
adressiert an ein Restaurant in Surrey. Vier weitere Paletten an dieselbe
Adresse trugen die Aufschrift »Hauswein – Weiß«, und das war alles.
»Die Unterlagen dafür liegen im Büro«, sagte
Gerard. »Das Restaurant hat den Wein gekauft und eingeführt, Naylor hat ihn
abgefüllt. Korrekte Aufträge anscheinend.«
Wir gingen zurück auf den Hof und sperrten die
Versandtür ab.
»Produktion«, sagte ich mit einem Blick auf das
hohe Gebäude gegenüber. »Na … sehen wir’s uns mal an.«
Der Schlüssel ließ uns ordnungsgemäß ein. Es war
ein altes Gebäude, das merkte man sofort, robust gebaut von Großvater Naylor,
um Generationen zu überdauern. Die Innenwände waren aufwendig bis in
Schulterhöhe weiß gekachelt, darüber (vor langer Zeit) cremefarben gestrichen.
Links vom Haupteingang wand sich eine Treppe aufwärts, und Gerard entschied
sich als erstes für diesen Weg, da sein papierorientierter Verstand das
Aufschlußreichste unwillkürlich oben suchte; also gingen wir hinauf, und er
hatte in hohem Grade recht.
Zwischen viel ungenutztem und verstautem Raum
entdeckten wir oben eine verschlossene Tür zu ferneren Regionen, eine Tür, die
sich dem »Etikettenraum«-Schlüssel auftat wie Ali Babas Höhle.
»Gütiger Himmel«, sagte Gerard. »Ist das alles
normal?«
Wir standen da und blickten auf einen Fußboden,
übersät von gebündelten, gehäuften Flaschenschildern, Tausende und Abertausende
insgesamt, in einem scheinbaren Kuddelmuddel, aber zweifelsohne doch in
irgendeiner Ordnung.
»Ganz normal«, sagte ich. »Kein Mensch käme auf die
Idee, die genaue Anzahl von Flaschenschildern zu bestellen, die für einen
Auftrag erforderlich ist. Man muß für alle Falle immer mehr dahaben. Die
unbenutzten werden meistens einfach abgelegt, und sie stapeln sich.«
»Man sieht es.«
»Ständig gebrauchte Etiketten sind wahrscheinlich
in den Schubladen da drüben. Die so aussehen wie Tresorfächer. Ein paar haben
Flaschenschilder vornedrauf … diese Schilder werden dann auch drin sein.«
»Was wir wollen, ist Saint-Estèphe et
cetera, und Bell’s. «
»Mm.«
Wir machten uns beide auf die Suche, aber sehr zu unserer
Bestürzung tauchte keines der gefälschten Etiketten auf.
»Wir brauchen etwas«, sagte Gerard. »Wir brauchen
Beweise.«
Wir fanden keine im Etikettenraum.
An der Rückwand des Etikettenraums führte eine
abgeschlossene Tür vermutlich zu einem weiteren Raum dahinter, und ich schlug
vor, auch dort für alle Falle einen Blick hineinzuwerfen.
»Na schön«, meinte Gerard achselzuckend.
Die Tür war abgesperrt, und der
»Etikettenraum«-Schlüssel paßte nicht. Gerard diagnostizierte wieder ein
Steckschloß und brauchte scheinbar eine Ewigkeit dafür, mit einer Sonde den
Mechanismus zu drehen, doch schließlich gab die Tür ihm nach, und wir durchschritten
sie.
Im Inneren dieses Raumes war eine Druckerpresse.
Ein moderner Apparat, blank, geölt und elegant, der in der Lage war, makellose
Flaschenschilder hervorzubringen.
Einige neuere Arbeiten der Presse lagen noch in
ungeschnittenen Bögen vor: reihenweise, massenweise Bell’s in
leuchtender Farbgebung, ununterscheidbar vom Original.
Weder Gerard noch ich sagten ein Wort. Statt dessen
wandten wir uns den Schränken und den rings um die Wände gestapelten Kartons
zu, und wir fanden sie alle – die sauber bedruckten Rechtecke, auf denen Saint-Estèphe,
Saint-Emilion, Valpolicella, Mâcon, Volnay und Nuits Saint-Georges stand.
»Es ist das Château de
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