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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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anzuklopfen ein, indem wir den
entsprechenden Schlüssel aus dem Pförtnerhaus benutzten. Innen kam zunächst
einmal ein freundlich wirkendes Büro. Kalender, Diagramme und Plakate von
Weinbaugebieten in Frankreich säumten die Wände. Es gab zwei Schreibtische,
einer direktorial, einer für die Sekretärin, beide offenkundig in täglichem
Gebrauch. Eingangskörbe enthielten Briefe, Rechnungen waren aufgespießt, ein
afrikanisches Veilchen blühte neben einem Gefäß mit Schreibstiften.
    Ich überließ Gerard dem konzentrierten Lesen der
Rechnungen und ging weiter in den nächsten Raum. Dieser war ausgestattet mit
einem teuren, lederbezogenen Schreibtisch, grünen Ledersesseln, Teppichboden,
einem Messingtopf mit sechs Fuß hohem Immergrün, gerahmten Zeichnungen von
Bernard Naylor und seiner Abfüllerei vor fünfzig Jahren, Cocktailschrank und
einer Tür in einen luxuriösen Waschraum.
    Auf der gegenüberliegenden Seite des feudalen Büros
führte eine weitere Tür in einen wahrscheinlich als Sitzungszimmer gedachten
Raum, in den sich aus Oberlichtern das Tageslicht ergoß. Der gesamte Mittelteil
wurde jedoch eingenommen von einem Tisch, größer als ein Billardtisch, auf dem
offenbar jemand eine Miniaturlandschaft mit Bergen, Talern, Ebenen und
Hochebenen modelliert hatte. Alles war grün und braun wie die Erde, mit einem
aufgeklebten hellblauen Band, das sich als Fluß durch ein Tal schlängelte.
    Ich betrachtete es mit ehrfürchtigem Staunen.
Gerard steckte den Kopf zur Tür herein, blickte auf den Tisch, zog die Stirn
kraus und sagte: »Was ist denn das?«
    »Kriegsspiele«, sagte ich.
    »Tatsächlich?« Er kam, um es sich näher anzusehen.
»Ein Schlachtfeld. Kein Zweifel. Wo sind die Soldaten?«
    Wir fanden die Soldaten in einem Schrank an der
einen Wand, ordentlich in Kästen sortiert, ganze Hundertschaften in
verschiedenen Uniformen, viele handbemalt. Da waren außerdem Reihen von
Miniaturpanzern und Lafetten aus allen historischen Epochen und gefährlich
wirkende Flugkörper in Gräben. Es gab Truppenhubschrauber und Doppeldecker aus
dem ersten Weltkrieg, winzige Stacheldrahtrollen, Ambulanzen und kleine Gebäude
aller Art, darunter einige, die wie zerbombt aussahen, andere rot bemalt, als
stünden sie in Flammen.
    »Unglaublich«, sagte Gerard. »Schon gut, daß Kriege
nicht gewürfelt werden. Ich hab’ eine Sechs, ich eliminiere deinen
Brückenkopf.« Wir schlossen den Schrank, und bei einem letzten interessierten
Blick auf den Tisch fuhr ich mit der Hand flüchtig über die Konturen der
nächsten Bergkette.
    Sie bewegte sich.
    Leicht entsetzt hob ich sie hoch, um sie wieder an
Ort und Stelle zu rücken, und starrte völlig überrascht in das ausgehöhlte
Innere. Ich ergriff noch ein oder zwei Hügel. Das gleiche.
    »Was ist?« sagte Gerard.
    »Die Berge sind innen weiß.«
    »Na, und?«
    »Sehen Sie, woraus sie bestehen?«
    Ich hielt die Berge mit der Höhlung nach oben,
damit ich das weiße Innere sehen konnte. »Es ist Gips«, sagte ich. »Schauen Sie
die Ränder … wie Bandagen. Ich könnte mir denken, er hat die ganze
Landschaft damit modelliert.«
    »Großer Gott.«
    »Kein Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Ein
Kriegsspielfanatiker. Simples Material … leicht zu formen, leicht zu
kolorieren, wird hart wie Stein.«
    Ich stellte die Berge und die Hügel behutsam an
ihren Platz zurück. »Es müssen so einige Rollen von dem Zeug auf diesem Tisch
sein. Und wenn Sie nichts dagegen haben … machen wir, daß wir hier
rauskommen.«
    »Ja«, stimmte Gerard zu. »Vermutlich hatte er an
dem Tag, als er zum Silver Moondance fuhr, gerade noch ein paar gekauft.
Hatte sie ganz zufällig in seinem Rolls.«
    Man wickelte aber nicht rein zufällig die Köpfe von
Leuten darin ein. Um das zu tun, bedurfte es gefährlicher Rachegedanken und
pathologischer Niedertracht. Paul Young hatte sich weit von dem entfernt, was
Stewart Naylor gewesen war.
    Wir schlossen die Tür des Kriegsspielzimmers, durchquerten
das grünlederne Büro und kehrten in den Geschäftssektor zurück.
    »Hier läuft gerade soviel legaler Handel, daß es
den Anschein erweckt, man bewege sich noch diesseits des Ruins«, sagte Gerard.
»Ich kann nichts Ungesetzliches entdecken. Sie hatten bis vor einigen Monaten
Lieferungen durch Charter Transport. Seitdem nichts mehr. Keine Rechnungen von
Vintners Incorporated, keine Lieferscheine, nichts. Das Büro hier ist für
Buchhalter und Prüfer. Deprimierend sauber, bis auf zahlreiche Schriftproben
von

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