Weinprobe
nachdenklich: »Hat ein Mann
namens Wilson etwas mit Ihrer Einheit zu tun?«
»Es gibt so ungefähr vier Wilsons. Welchen meinen
Sie?«
Ich beschrieb den krummschultrigen, ruhigen
Ermittlungsbeamten, und Ridger nickte sofort. »Das ist Kriminalhauptkommissar
Wilson. Er ist freilich nicht auf unserer Station. Er ist Chef des ganzen
Bezirks. Kurz vor der Pensionierung, heißt es.«
Ich sagte, daß ich ihm bei dem Hawthorn-Unglück begegnet
sei, und Ridger vermutete, Wilson sei wegen der Bedeutung des Scheichs dort
persönlich erschienen. »Normalerweise nicht seine Sache, Verkehrsunfälle.«
»Wird er hierherkommen?« fragte ich.
»Glaube ich nicht. Sein Rang ist zu hoch.«
Ich wunderte mich flüchtig, wieso denn ein Mann von
solchem Rang in meinen Laden kam und mir Fragen stellte, anstatt einen
Konstabler vorbeizuschicken, aber Ridger konnte ich darauf nicht mehr
ansprechen, weil in diesem Moment der Stellvertreter des stellvertretenden
Managers das Bewußtsein wiedererlangte.
Er war verwirrt nach seiner langen Ohnmacht, setzte
sich benommen auf und blickte verständnislos auf Ridger und mich.
»Was ist passiert?« sagte er – und ohne daß wir es
erklärt hätten, erinnerte er sich. »O mein Gott …« Er schien im Begriff,
von neuem ohnmächtig zu werden, doch statt dessen drückte er sich die Hände auf
die Augen, als würde damit das Bild aus der Erinnerung gelöscht. »Ich sah …
ich sah …«
»Wir wissen, was Sie gesehen haben, Sir«, sagte
Ridger ohne Mitgefühl. »Erkennen Sie den Mann? Ist das der Manager?«
Der Stellvertreter schüttelte den Kopf und sprach
mit gedämpfter Stimme durch seine Hände. »Der Manager ist dick.«
»Weiter«, half Ridger nach.
»Es ist Zarac«, sagte der Stellvertretervertreter.
»Das ist seine Jacke …«
»Wer ist Zarac?« fragte Ridger.
»Der Weinkellner.« Der Stellvertretervertreter
erhob sich schwankend und verlagerte die Hände auf seinen Mund, bevor er mit
revoltierendem Magen zu der Tür mit der Aufschrift Herren entschwand.
»Der Weinkellner«, wiederholte Ridger tonlos. »Man
hätte es sich denken können.«
Ich stieß mich von der Wand ab. »Sie brauchen mich
hier doch eigentlich nicht, oder? Ich müßte wieder in meinen Laden.«
Er dachte kurz darüber nach und war einverstanden.
Er könne mich ja ohne Mühe finden, sagte er, wenn ich benötigt würde. Ich
überließ ihm die Quasibewachung der Bürotür und ging raus zu meinem Wagen,
vorbei an dem Beamten, der sein Frühstück auf die Einfahrt erbrochen hatte.
»Dammich«, meinte er leise in einem liebenswerten
Dialekt, »so was hab’ ich noch nie gesehen.«
»Kein alltäglicher Anblick«, bestätigte ich, mich
ins Scherzhafte flüchtend; und ich fand, daß auch ich seit Sonntag genügend
Greuel gesehen hatte für ein ganzes Leben.
In der Mittagspause am Dienstag kaufte ich neue
Gläser und kutschierte sie und den Wein zu den Themse-Frauen und ihrem Basar;
und an den drei Tagen darauf geschah wenig Bemerkenswertes.
Die Medien berichteten kurz von dem Mann mit der
Gipsverpackung, aber in Worten, dachte ich, war nicht annähernd so etwas zu
vermitteln wie der Schock, diesen Fußballkopf wirklich daliegen zu sehen, blank
und unmenschlich, aufgepfropft auf einen menschlichen Hals.
Die Abnahme des Gipses bei der Autopsie hatte die
Identität des Opfers bestätigt: Feydor Zaracievesa, gebürtiger Brite polnischer
Abstammung, kurz Zarac genannt. Er war seit achtzehn Monaten als Weinkellner im Silver Moondance beschäftigt gewesen, das selbst seit fast drei Jahren
bestand. Eine Gerichtsverhandlung zur Feststellung der Todesursache sollte, wie
es hieß, in Kürze stattfinden, und die Polizei ging noch ihren Ermittlungen
nach.
Ich wünschte ihnen alles Gute. Bleibt dran.
Dienstag, Mittwoch und Donnerstag brachen Mrs. Palissey
und Brian um vier Uhr mit dem Lieferwagen auf, und ungefähr um halb fünf klebte
ich einen Zettel an die Ladentür: »Geöffnet von 18 bis 21 Uhr«, und brauste den
Berg hinauf, um mit Flora den Hof abzugehen.
Die Geschäftszeiten waren, soweit es mich betraf,
flexibel, und ich hatte herausgefunden, daß es keine große Rolle spielte, wann
man öffnete oder schloß, solange es Anhaltspunkte für die Kundschaft gab. Wann
die meisten Kunden kamen und wann sie ausblieben, das stand im großen und
ganzen fest: eine Flut am Morgen, überwiegend Frauen, ein Rinnsal aus beiden
Geschlechtern am Nachmittag, ein gesunder Strom, hauptsächlich Männer, an den
Abenden.
Als Emma noch
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