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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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Quai des Chatrons heimisch zu
fühlen, wo infolge einer uralten Steuer die Pforten vieler Lagerhäuser zu eng
waren für die modernen Lastwagen und wo im Abstand von hundert Metern zur
Straße noch immer kein Wein gelagert werden konnte, weil man einst angenommen
hatte, daß die Erschütterung durch die Hufschläge am Quai ihm schlecht bekäme.
Im Lagerhaus de Luze, das sich fast eine halbe Meile nach hinten hinaus
erstreckte, fuhr das Personal mit dem Fahrrad durch die Räumlichkeiten.
    Im Stadtzentrum hatten die langen Busse ein
Ziehharmonikateil in der Mitte, um die scharfen Kurven in den engen Straßen zu
meistern, und auf dem Land blühten im März flaumig-gelbe Mimosen, und überall,
tagaus, tagein, sprach man vom Wein und roch ihn. Als ich Bordeaux wieder
verließ, war es zu meiner geistigen Heimat geworden. Henri Tavel umarmte mich
mit feuchten Augen und sagte mir, er könne mich bei de Luze oder einem der anderen
großen Négociants unterbringen, wenn ich bliebe, und seither hatte ich
mich manches Mal gefragt, warum ich nicht geblieben war.
    Bei der Rückkehr nach England hatte ich, bewaffnet
mit einer zu schmeichelhaften Empfehlung von Tavel, eine Stelle bei einem
Weinimporteur erhalten, aber viel mehr als Schreibarbeit sprang für einen
Jungen wie mich dabei nicht heraus, und nach den Abenteuern in Bordeaux erfaßte
mich bald Langeweile. Spontan betrat ich eines Tages einen Spirituosenladen,
für den »Hilfskräfte« gesucht wurden, und bot meine Dienste an, worauf ich
binnen kurzem eine brillante, unaufhaltsame Karriere startete, die darin
bestand, Kisten voller Fusel hin und her zu schleppen.
    »Tony arbeitet in einem Geschäft«, sagte meine
Mutter dazu tapfer. Sie war unbedingt eine couragierte Frau: Schwere Hürden
mußte man direkt angehen. Sie gab mir außerdem, als die Zeit gekommen war,
einen zinsfreien Kredit für den Grundstock zu einem eigenen Laden und weigerte
sich, die Rückzahlung anzunehmen, als ich sie mir hätte leisten können. Was
Mütter anbelangt, war meine gar nicht übel.
     
    Flora, eine Dame von betont mütterlichem Wesen,
zeigte sich mit jedem Tag weniger erschöpft und deprimiert. Jacks Bein wurde
besser, und Jimmy war halbwegs außer Gefahr, obwohl man wegen des Lungenrisses
erst in vierzehn Tagen sicher sein konnte.
    Jimmy,
sagte Flora, hatte überhaupt keine Erinnerung an die Party. Er konnte sich
nicht erinnern, daß er den Scheich im Hof herumgeführt hatte. Das letzte, an
das er sich erinnerte, war das Gespräch mit mir über den Laphroaig; und
er war sehr betroffen gewesen, als er erfuhr, daß Larry Trent tot war.
    »Und Jacks Stimmung?« fragte ich. »Wie steht’s
damit?«
    »Na, Sie kennen ihn ja, Tony, er haßt das
Stillsitzen, und seine Laune verschlechtert sich mit jeder Minute. Wahrscheinlich
sollte ich das nicht sagen, aber so ist er nun mal. Bis zum Wochenende ist er
wieder daheim, meint er, und er möchte nicht in einem Rollstuhl sitzen, er will
Krücken. Dabei wäre das für seine Arme doch ein ganz schönes Gewicht, und er
ist ja auch nicht mehr der Jüngste.«
    Die täglichen Berichte, die Flora und ich
getreulich verfaßten, hatten Jack, wie sich herausstellte, nicht übermäßig
erfreut, weil er annahm, daß wir ihm Desaster vorenthielten; aber wie auf das
Pech die Glückssträhne folgt, hatte es weniger Verstauchungen, Tritte und
Abszesse auf der Koppel und in den Stallungen gegeben als sonst.
    Bis zum Donnerstag war der Pferdetransporter weg,
ebenso auch die Reste des Zeltes und des Bodenbelags, und nur der aufgewühlte
Rasen und die Lücke in der Rosenhecke waren geblieben.
    »Wir werden auf dem Gras nie barfuß gehen können«,
meinte Flora. »Nicht, daß wir es jemals täten. Aber wo man hinsieht, liegen
Glassplitter.«
    Sie hatte natürlich von dem Einbruch und dem Mord
im Silver Moondance gehört und machte große Augen, als ich ihr erzählte,
daß ich an dem Dienstagmorgen noch einmal dort gewesen sei. »Wie entsetzlich«
sagte sie und »Armer Larry …« und dann voller Verwirrung: »O je, für einen
Moment hatte ich’s vergessen … es ist alles so grauenhaft, so grauenhaft.«
    Am Mittwoch erzählte sie mir, daß Sally und Peter
jetzt wußten, wer die Bremse an ihrem Transporter gelöst hatte. Sally hatte
erneut angerufen, fast wieder so aufgeregt, und Flora von den Eltern des
kleinen Jungen erzählt, die Peter vorwarfen, daß er den Wagen nicht
abgeschlossen hatte, und der Meinung waren, es sei alles Peters Schuld, nicht
die ihres Sohnes.

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