Weinprobe
den Teppich der Eingangshalle und fing ihn auf, als
er zusammensackte.
»Was haben Sie?« fragte ich.
Er stöhnte leise, mit nach oben verdrehten Augen,
und wurde schwerer. Ich ließ ihn auf den Teppich heruntergleiten, bis er lang
dalag, und nahm mir zwei Sekunden Zeit, seine Krawatte zu lockern. Dann öffnete
ich mit erhöhtem Puls und selbst schon etwas kurzatmig die Tür des Managerbüros
und ging hinein.
Hier, sah ich sofort, wurden die eigentlichen
Geschäfte getätigt. Hier in diesem nun wirklich sehr funktionalen Büro waren
all die Formulare, Akten und unordentlichen Haufen anstehender Schreibarbeit,
die in Larry Trents Büro so völlig fehlten. Hier stand ein Metallschreibtisch,
alt und zerkratzt, mit einem Plastikstuhl dahinter und Gläsern und Stiften
zwischen dem Wirrwarr auf der Deckplatte.
Ringsherum war bunt gemischtes Zeugs in dick
beschrifteten Schachteln gestapelt: Glühbirnen, Aschenbecher, Toilettenpapier,
Seife. Aus einem offenen Wandschrank ergoß sich Schreibpapier. Das einzige
Fenster ging hinaus auf die Auffahrt, genau im Blickfeld mein Lieferwagen und
Ridgers Fahrzeug. Ein robuster Safe von der Größe eines Geschirrschranks stand
sperrangelweit offen, sein Inneres leer; und auf dem Linoleum saß der Zivilpolizist
mit dem Rücken zur Wand, den Kopf zwischen den Knien.
Nichts an diesem Raum sah auf den ersten Blick so
aus, als könnte es eine Massenohnmacht bewirken. Nicht, bis man zu dem Stuhl
hinter dem Schreibtisch ging und auf den Boden sah; da spürte ich dann, wie
mein Mund trocken wurde und das Herz mir zum Zerspringen gegen die Rippen
schlug. Da war kein Blut, aber es war schlimmer, sehr viel entnervender als das
zufällige Blutbad in dem Zelt.
Auf dem Fußboden lag ein Mann in grauer Hose, mit
einer königsblauen Steppjacke darüber. Er lag auf dem Rücken. Verzweifelt auf
Einzelheiten konzentriert, sah ich, daß der Reißverschluß seiner Jacke bis
obenhin geschlossen und daß auf einem Ärmel ein gesticktes Wappen aufgenäht
war. Er trug braune Schuhe mit grauen Socken. Sein Hals war rosarot, die Sehnen
traten straff hervor, und seine Hände lagen ordentlich, in der klassischen
Haltung eines Verstorbenen, auf der Brust gekreuzt.
Er war tot. Er mußte tot sein. Als Kopf hatte er
über dem nackten gereckten Hals eine große, weiße, gesichtslose Kugel wie ein
Riesenstaubpilz, und erst wenn man die Übelkeit überwand und genau hinschaute,
konnte man sehen, daß er von der Kehle aufwärts dick und lückenlos eingegipst
worden war.
7
Zitternd wich ich aus dem Büro zurück, voller
Verständnis für den Beamten und den vertretenden Stellvertreter, und lehnte
draußen mit weichen Knien meinen Rücken an die Wand.
Wie konnte irgend jemand so barbarisch sein, fragte
ich mich dumpf. Wie brachte einer das fertig, wie kam irgend jemand darauf?
Sergeant Ridger erschien vom Flur her in der Halle,
kam auf mich zu und blickte eher gereizt als besorgt auf den immer noch
hingestreckten Stellvertreter.
»Was ist los mit ihm?« sagte er in seinem gewohnt
markigen Ton.
Ich antwortete nicht. Er sah mir scharf ins Gesicht
und fragte mit mehr Interesse: »Was ist los?«
»Ein Toter«, sagte ich. »Im Büro.«
Er warf mir einen mitleidig überlegenen Blick zu
und schritt zielbewußt durch die Tür. Als er herauskam, war er um drei
Schattierungen blasser, aber immer noch bewundernswert gefaßt und verhielt sich
durch und durch wie ein Detective Sergeant.
»Haben Sie da drin etwas berührt?« fragte er mich
scharf. »Irgendeine Fläche? Könnten irgendwo Ihre Fingerabdrücke sein?«
»Nein«, sagte ich.
»Bestimmt?«
»Bestimmt.«
»Gut.« Er holte sein Funkgerät hervor, zog die
Antenne aus und gab durch, er benötige dringend ein Spurensicherungsteam im
Zusammenhang mit dem ungeklärten Tod eines bisher nicht identifizierten Mannes.
Die körperlose Stimme gab zur Antwort, seine
Nachricht sei um 10Uhr 57 eingegangen und werde weitergeleitet. Ridger
klappte die Antenne zusammen, steckte den Kopf durch die Bürotür und befahl
seinem Beamten energisch, da herauszukommen, keine Gegenstände zu berühren und
an die frische Luft zu gehen.
Ebensosehr zu sich selbst wie zu mir sagte er: »Von
jetzt an ist das nicht mehr mein Fall.«
»Nein?«
»Mordsachen gehen an die Chefinspektoren und Kommissare.«
Seinem Tonfall konnte ich nicht entnehmen, ob er
darüber froh war oder es bedauerte, und kam zu dem Schluß, daß er sich einfach
ohne Groll mit der Rangordnung abfand. Ich sagte
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