Weinprobe
lebte, hatten wir den Laden nur
freitags und samstags abends geöffnet, doch seit ich allein war, hatte ich den
Dienstag, Mittwoch und Donnerstag hinzugefügt, nicht einfach wegen der
Mehreinnahmen, sondern wegen der Gesellschaft. Mir gefielen die Abende. Die
meisten abendlichen Kunden kamen wegen Wein, und den verkaufte ich am liebsten:
eine Flasche zum Dinner, Champagner für eine Beförderung oder als Mitbringsel
für eine Party.
So war es ein Leben im kleinen Stil. Nichts, was
den Lauf der Welt oder den Gang der Geschichte verändert hätte. Ein Weg durch
die Zeit in normalen sterblichen Dimensionen; aber mit Emma an der Seite hatte
es genügt.
Ich war nie sonderlich ehrgeizig gewesen, ein Grund
zur Traurigkeit für meine Mutter und ein Quell sprudelnden Ärgers für meine
Lehrer in Wellington, von denen einer mir bissig ins letzte Zeugnis geschrieben
hatte: »Beachs auffallende Intelligenz würde ihn weit bringen, wenn er sich nur
dazu aufraffen könnte, eine Richtung einzuschlagen.« Meine Unfähigkeit zu entscheiden,
was ich sein wollte (außer Soldat), hatte dahin geführt, daß ich gar nichts
weiter tat. Ich bestand die Prüfungen, die mir in den Weg gelegt wurden, hatte
mich aber nicht zur Universität hingezogen gefühlt. Französisch, mein bestes
Fach, bot an sich kaum eine Laufbahn. Nach Effektengeschäften oder sonst einem
Bürojob in der Londoner City hatte mir nicht der Sinn gestanden. Künstlerisch
begabt war ich auch nicht. Hatte kein Ohr für Musik. Konnte mir kein Leben
hinter dem Schreibtisch vorstellen und ritt nicht kühn genug für den Rennsport.
Mein einziges wahres Können während meiner Teenagerzeit war ein
Partykunststückchen gewesen, und zwar mit verbundenen Augen sämtliche
Schokoladenmarken auseinanderzuhalten. Das schien damals nicht gerade eine
vielversprechende Grundlage für einen einträglichen Beruf zu sein.
Sechs Monate nach meinem Schulabschluß fand ich,
ich könnte mal für einige Zeit nach Frankreich gehen, angeblich, um die Sprache
besser zu erlernen, aber vor mir selbst mußte ich bekennen, daß ich damit
vermeiden wollte, daheim allzu deutlich als enttäuschender Versager dazustehen.
Allein ließ sich das Versagen viel besser ertragen.
Durch reinen Zufall, dank Bekannten von Bekannten
meiner verzweifelten Mutter, wurde ich als zahlender Gast zu einer Familie in
Bordeaux geschickt, bei der ich wohnen sollte, und anfangs hatte es mir nichts
bedeutet, daß mein fremder Gastgeber mit Wein handelte. Monsieur Henri Tavel
aber machte schließlich die Entdeckung, daß ich Weine auseinanderhalten konnte,
wenn ich sie einmal gekostet hatte. Er war der einzige Erwachsene, der je von
meinem Kunststück mit der Schokolade beeindruckt gewesen war. Er hatte laut
darüber gelacht und mir jeden Abend Wein zur Probe vorgesetzt, und mein
Selbstvertrauen nahm zu, je öfter ich die Sorten richtig erkannte.
Es war trotz allem noch wie ein Spiel, und als ich
nach Ablauf der geplanten drei Monate nach Hause kam, hatte ich noch immer
keine Vorstellung, was weiter werden sollte. Meine Mutter lobte meine
französische Aussprache, meinte aber, dies sei kaum als Lebenswerk zu
betrachten, und ich verbrachte meine Zeit damit, mich soweit wie möglich ihren
Blicken zu entziehen.
Sie hatte mich suchen müssen an dem Tag, als der
Brief kam, etwa einen Monat nach meiner Rückkehr. Sie hielt ihn vor sich und
runzelte die Stirn darüber, als wäre er unbegreiflich.
»Monsieur Tavel schlägt vor, daß du wiederkommst«,
sagte sie. »Er will dich ausbilden. In was denn, Tony, Schatz?«
»Wein«, sagte ich mit dem ersten aufkeimenden
Interesse seit manchem langem Tag.
»Du?« Sie war eher verwirrt als verwundert.
»Wahrscheinlich, damit ich das Gewerbe erlerne.«
»Großer Gott.«
»Kann ich fahren?« fragte ich.
»Möchtest du denn?« sagte sie erstaunt. »Ich meine,
hast du tatsächlich etwas gefunden, was du gern tun würdest?«
»Zu irgendwas anderem bin ich anscheinend nicht
fähig.«
»Nein«, stimmte sie trocken zu; und sie zahlte mir
noch einmal das Geld für die Fahrt und für Kost und Logis bei der Familie sowie
ein stattliches Honorar an Monsieur Tavel für den Unterricht.
Monsieur Tavel unterwies mich ein Jahr lang
intensiv, nahm mich überallhin mit, zeigte mir jedes Stadium der Weinerzeugung
und des Versands. Im Eiltempo brachte er mir bei, was er sein langes Leben
hindurch gelernt hatte, und er verließ sich darauf, daß er mir nichts zweimal sagen mußte.
Ich lernte mich am
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