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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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und
Mrs. Palissey, und auch Sung Li war es offenbar lieber so. Ich aß das
Zitronenhühnchen an einem Tisch in der kleinen Gaststube, danach noch gebackene
Garnelen und fühlte mich schon weit weniger schwindlig. Bis dahin hatte ich von
meinem Schwindelgefühl gar nichts gemerkt, ähnlich wie man erst feststellt, wie
krank man gewesen ist, nachdem man sich wieder wohl fühlt, aber in der
Rückschau nahm ich an, daß ich seit dem Blick in die Mündung einer Schrotflinte
nicht mehr ganz fest auf dem Boden gestanden war und daß meine Beine ein
gewisses Eigenleben geführt hatten. Die Euphorie des Entkommenseins, das
begriff ich jetzt, war verantwortlich für die unbekümmerte Unterhaltung
zwischen Gerard und mir auf dem Hof und für meine methodische Durchsicht der
entstandenen Verluste. Es war wirklich seltsam, wie der Verstand sich bemühte,
so zu tun, als sei alles normal … und es gab gute chemische Gründe dafür,
warum das nach Verletzungen passierte. Irgendwo hatte ich darüber mal einen
Artikel gelesen.
    Ich stand auf, machte einen steifen Versuch, meine
Brieftasche herauszuholen, und sofort war Sung Li an meiner Seite und bat mich,
am nächsten Morgen zu bezahlen. Ich fragte ihn, ob ich durch seine Küchentür zu
meinem Wagen im Hof gehen könnte, anstatt ganz außen herum zu wandern, und er
war zu höflich, um mir zu sagen, daß ich nicht fahrtüchtig sei. Wir verbeugten
uns im Dunkeln draußen wieder voreinander, und bis ich den Rover erreichte,
hatte ich es geschafft, meine Schlüssel ziemlich fest zu packen.
    Ich fuhr nach Hause. Ich rammte nichts. Die
Betäubungsspritze in meinem Arm ließ nach, und das Ganze fing an zu brennen.
Ich fluchte laut und äußerst obszön, halb überrascht, daß ich solche Dinge
aussprach, wenn ich auch allein war. Halb überrascht, daß ich sie denken
konnte.
    Ich trat in das Cottage. Der zweite Sonntag
nacheinander, dachte ich, an dem ich mit Blut an den Kleidern und von Schrecken
erfüllt hierher zurückkam.
    Emma, dachte ich, um Gottes willen hilf mir. Ich
ging durch die leeren Zimmer, ohne sie eigentlich zu sehen, denn ich wußte sehr
genau, daß sie nicht da war, aber trotzdem hätte ich dringend jemand zum Reden
gebraucht, jemand, der mich festhielt und mich liebte, wie sie es getan hatte.
    Im hellen Licht sämtlicher Lampen schluckte ich
einige Aspirin, setzte mich in meinen gewohnten Sessel im Wohnzimmer und gebot
mir, den Mund zu halten und vernünftig zu sein. Ich war bestohlen worden …
ja, und? Hatte gekämpft … und verloren … ja, und? Ja, Emma, mein
lieber Schatz … hilf mir.
    Reiß dich doch zusammen, befahl ich mir.
    Dreh das Licht aus. Geh ins Bett. Geh schlafen.
    Mein Arm pochte unbarmherzig die ganze Nacht.
     
    Der neue Tag, Montag, kroch ungefähr auf dem
Niveau meiner Wahrnehmung in die Welt: trüb, bedeckt, leblos. Steif kleidete
ich mich an, rasierte mich und machte Kaffee, sperrte mich gegen die
Versuchung, wieder ins Bett zu gehen und abzudanken. Montage waren selbst zu
den besten Zeiten schwer. Das Durcheinander, das mich erwartete, lockte mit soviel
Reizen wie ein kalter Sumpf.
    Ich steckte die Aspirinflasche ein. Die elf
gesäuberten Wunden, die sich dagegen sträubten, übergangen zu werden, schienen
um meine Aufmerksamkeit zu wetteifern, und fast überall sonst kamen diverse
blaue Flecken zart zur Entfaltung. Ihr könnt mich alle, dachte ich; es nützte
wenig.
    Ich fuhr zum Geschäft und parkte auf dem Hof.
Gerards Wagen stand noch genau an der Stelle, wo er ihn so schief abgewürgt
hatte, als er beim Anblick der auf sein Gesicht schwenkenden Flinte auf die
Bremse gestiegen war. Die Schlüssel steckten nicht in der Zündung, und ich
konnte mich nicht entsinnen, wer sie hatte. Wieder ein auf unbestimmte Zeit
verschobenes Problem.
    Ein Streifenwagen stand vor meiner Tür, als ich auf
die Vorderseite kam. In ihm saß Detective Sergeant Ridger. Er stieg auf der
Fahrerseite aus, bevor ich noch halb heran war, jeder Knopf und jedes Haar wie
immer streng geordnet. Er wartete auf mich, und ich blieb vor ihm stehen.
    »Wie geht es Ihnen?« sagte er. Er räusperte sich.
»Es … äh … tut mir leid.«
    Ich lächelte zumindest leicht. Sergeant Ridger
wurde ja direkt menschlich. Ich schloß die Tür auf, ließ uns herein und schloß
sie wieder ab; dann setzte ich mich in das winzige Büro und sah gemächlich die
Post durch, während er mit einem Notizbuch umherging und gewissenhaft schrieb.
    Schließlich machte er halt und sagte: »Sie

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