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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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große Veränderung in seinem
normalen ängstlichen Gesichtsausdruck, räumte auf und fragte mich, was er mit
der Kiste im Spülstein machen sollte.
    »Nimm die Flaschen raus, die ganz sind, und stell
sie auf die Tropfplatte«, sagte ich, und wenig später kam er, um mir mitzuteilen,
das habe er getan. Ich schaute im Waschraum nach, und da standen sie – acht
Flaschen Saint-Emilion, ehemals unter dem Probiertisch.
    Brian hielt ein Stück Papier in der Hand, als wüßte
er nicht, wohin damit.
    »Was ist das?« fragte ich.
    »Weiß nicht. Es war in der Kiste drin.« Er hielt es
mir hin, und ich nahm es: ein Blatt aus einem Notizblock, in der Mitte
gefaltet, abgenutzt, dazu feucht und auf einer Seite voller Weinflecke von den
zerbrochenen Flaschen. Ich las es zunächst verwirrt und dann mit zunehmender
Verblüffung.
    In deutlicher, sehr eckiger Handschrift stand da:
     
    ERSTENS
Alle angebrochenen Weinflaschen
    ZWEITENS
Alle Flaschen mit folgenden Namen: Saint-Emilion
Saint-Estèphe
Volnay
 Nuits Saint-Georges
Valpolicella
Mâcon
    FALLS ZEIT
Schnäpse usw. Alles Greifbare
    DUNKELHEIT 18.30. OHNE LICHT
ARBEITEN
     
    »Soll ich das fortwerfen, Mr. Beach?«
fragte Brian hilfsbereit.
    »Du kannst sechs Marsriegel haben«, sagte ich.
    Er brachte seine Version eines breiten Grinsens
hervor, eine Art lüsternen Seitenblick, und folgte mir der Belohnung halber in
den Laden.
    Mrs. Palissey versicherte mir freudig besorgt,
sie würde schon alleine fertig, wenn ich mal zehn Minuten weggehen müsse, auch
wenn dauernd Kunden kämen und fast nichts in den Regalen stehe, da es doch
Montag sei. Ich versicherte sie meiner Wertschätzung und ging die Straße hinauf
zum Büro eines Anwalts, etwa in meinem Alter, der abends öfter Wein bei mir
kaufte.
    Selbstverständlich könne ich seinen Kopierer
benutzen, sagte er. Jederzeit. Ich fertigte drei deutliche Kopien von der
Einkaufsliste der Diebe an und kehrte in den eigenen kleinen Bau zurück, wo ich
überlegte, ob ich Sergeant Ridger sofort anrufen sollte, und es schließlich
bleiben ließ.
    Brian schulterte Kisten mit Whisky, Gin und
verschiedenen Sherrysorten vom Lagerraum zum Laden, wobei er mir im
Vorübergehen jeweils sagte, was er trug, und es stimmte jedes Mal. Sein breites
Grinsen verriet Stolz über die Leistung: berufliche Zufriedenheit in
Reinkultur. Mrs. Palissey füllte die Regale auf, plapperte in einem fort,
und ich bekam fünf telefonische Bestellungen.
    Einen Stift zu halten war unerwartet schmerzhaft.
Die Armmuskeln protestierten steif. Mir ging auf, daß ich fast alles bisher mit
links erledigt hatte, auch das Essen von Sung Lis Hühnchen, aber so zu schreiben
war nicht drin. Unter manchem stillen Fluch notierte ich die Bestellungen
rechtshändig, und als die lange Liste für den Großhandel an der Reihe war,
tippte ich sie zittrig mit links in die Maschine. Niemand hatte mir gesagt, wie
lange Schußwunden brauchen würden, um zu verheilen. Je schneller, desto
besser.
    Irgendwie brachten wir den Morgen hinter uns, und
Mrs. Palissey, ganz freundliche Märtyrerin, erklärte sich bereit, am
Nachmittag mit Brian zur Großhandlung zu fahren.
    Als sie fort waren, wanderte ich in meiner
heimgesuchten Domäne herum und überlegte, daß ich ein wenig Energie zum
Telefonieren aufbringen müßte, um neuen Wein herbeizuschaffen, ein neues
Fenster … neue Selbstachtung.
    Es war meine eigene blöde Schuld, daß man auf mich
geschossen hatte. Unbestreitbar. Dennoch wäre es mir unnatürlich vorgekommen,
davonzuschleichen und die Diebe gewähren zu lassen. Klüger schon. In der
Rückschau leicht einzusehen. Aber in dem Moment …
    Ich dachte wirr darüber nach, ohne den völlig
irrationalen Impuls zu verstehen, der mich veranlaßt hatte, der Gefahr
entgegenzulaufen, wo Angst und Selbsterhaltungstrieb mich doch ein Leben lang
vor ihr hatten zurückschrecken lassen.
    Nicht etwa, daß ich darauf stolz gewesen wäre. Oder
mich geschämt hätte. Ich hatte akzeptiert, daß ich nun einmal so war: kein
bißchen tapfer. Enttäuschend.
    Ich hielt es für das beste, eine Liste von den
fehlenden Weinen für die Versicherung zusammenzustellen, die von meinen
wiederholten Ansprüchen so wenig begeistert sein würden wie Kenneth Charters
Versicherer von den seinen. Ich hielt es für das beste, aber ich tat es nicht.
Der Appetit auf Pflichten, hätte man sagen können, war nahe dem Nullpunkt.
    Ich nahm ein paar Aspirin.
    Ein Kunde kam wegen sechs Flaschen Port und brachte
mich schonungslos

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