Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
Vom Netzwerk:
Schritt zurück, dann noch
einen und dann einen dritten, was mich an die Wand neben meiner Hintertür
brachte. Die Tür fiel leicht von selbst zu, wenn sie nicht aufgehalten wurde,
und war zu dem Zeitpunkt eingeklinkt. Wenn ich da durchkäme, dachte ich dunkel,
wäre ich in Sicherheit, und ich dachte außerdem, wenn ich durch sie zu fliehen
versuchte, würde ich erschossen werden.
    Genau in der Sekunde, als mir in den Sinn kam, daß
der Mann mit der Flinte nicht wußte, ob er auf mich schießen sollte oder nicht,
fuhr Gerard wieder in meinen Hof ein. Der Mann mit der Flinte schwenkte zu ihm
herum und feuerte einen Schuß ab, und ich riß meine Tür auf und machte einen
Satz. Ich wußte, daß sich das Gewehr wieder in meine Richtung drehte; ich
konnte es am Rand meines verstörten Gesichtsfeldes sehen. Ich wußte auch, daß
er, nachdem er einmal geschossen hatte, wieder schießen würde – daß die
Hemmschwelle überwunden war. Mit fünf Schritt Entfernung war er so nah, daß die
volle Ladung einen Ochsen umgepustet hätte. Vermutlich bewegte ich mich in
dieser Sekunde so schnell wie noch nie im Leben, und ich sprang wie der Blitz
seitlich durch den Eingang, als er abdrückte.
    Ich fiel der Länge nach hin, aber nicht bloß unter
der Wucht der Schrotkörner: hauptsächlich, weil über den Gang weitere Kisten
mit Wein verstreut waren. Was von dem Schrot tatsächlich getroffen hatte,
fühlte ich als tiefe Stiche im Arm, als einen brennenden Schmerz.
    Die Tür schlug hinter mir zu. Wenn ich sie
verriegele, dachte ich, bin ich in Sicherheit. Ich dachte auch an Gerard,
draußen in seinem Wagen, und gleichzeitig mit diesen beiden Gedanken bemerkte
ich, daß Blut an meiner rechten Hand herunterlief. Nun ja … tot war ich
nicht, oder? Ich rappelte mich hoch und öffnete die Tür weit genug, um zu
sehen, was draußen zu erwarten war. Nicht sehr viel, stellte ich fest, da die
beiden schwarzhaarigen Räuber gerade mit eindeutigen Fluchtabsichten in ihren
Lieferwagen kletterten.
    Ich versuchte nicht, sie aufzuhalten. Sie brausten
an Gerards Wagen vorbei und schwenkten auf die Nebenstraße, wo sie mit
auffliegenden Hecktüren, durch die drei oder vier Kisten Wein zu sehen waren,
verschwanden.
    Die Windschutzscheibe von Gerards Auto war zerschmettert.
Mit aufsteigender Furcht ging ich hin und sah ihn über beiden Vordersitzen
liegen, das eine Schulterblatt verfärbt, die Zähne vor Schmerz zusammengepreßt.
    Ich öffnete die Tür neben dem Steuer. Man sagt
wirklich unpassende Dinge in schrecklichen Situationen. Ich sagte: »Es tut mir
so leid …«, weil ich wußte, daß er zurückgekommen war, um mir zu helfen,
wußte, ich hätte da nicht hinlaufen, hätte keine Hilfe benötigen sollen.
    Sung Li von nebenan kam um die Ecke gerannt, sein
breites Gesicht voller Befürchtungen.
    »Schüsse«, sagte er. »Ich habe Schüsse gehört.«
    Gerard sagte gepreßt: »Ich bin ausgewichen. Hab’
die Flinte gesehen. Vielleicht doch nicht ganz rechtzeitig«, und er kämpfte
sich in eine sitzende Position, wobei er sich am Steuer festhielt und tausend
Krümel Windschutzscheibe von sich schüttelte wie Schnee. »Die Polizei ist
unterwegs, und wir leben noch, stelle ich fest. Es hätte schlimmer kommen
können.«
    Sung Li blickte Gerard an, als traute er seinen
Ohren nicht, und da ich lachen mußte, wurde ich selbst zum Gegenstand seiner
Verblüffung.
    »Mr. Tony«, sagte er angstvoll, als fürchte er
um meinen Verstand, »wissen Sie, daß Sie ebenfalls bluten?«
    »Ja«, sagte ich.
    Sung Lis stummes Gesicht drückte aus, daß alle
Engländer verrückt seien, und Gerards Bitte an ihn, er möge doch so gut sein,
einen Krankenwagen herbeizupfeifen, wenn es ihm nichts ausmache, half nur
wenig.
    Sung Li ging wie benommen davon, und Gerard warf
mir ein Lächeln zu, das man nur als kultiviert und höflich beschreiben konnte.
    »Blutige Sonntage«, sagte er, »werden langsam zur
Gewohnheit.«
    Er kniff die Augen ein paarmal zusammen. »Haben Sie
die Nummer des Lieferwagens mitgekriegt?«
    »Mm«, nickte ich. »Sie auch?«
    »Ja. Und der Polizei durchgegeben. Eine Beschreibung
der Männer?«
    »Sie trugen Perücken«, sagte ich. »Struppige
schwarze Perücken, beide die gleichen. Außerdem identische Schnauzbärte, dick
und schwarz. Aufgeklebt, denke ich. Außerdem OP-Gummihandschuhe. Wenn Sie
wissen wollen, ob ich sie ohne diese Zutaten wiedererkennen würde, muß ich
leider verneinen.«
    »Sie bluten am Arm«, sagte er. »Es tropft von

Weitere Kostenlose Bücher