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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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herbeigerufen habe.
    Gerard schloß die Augen. Ich sagte: »Hier ist die
Rückseite der Weinhandlung. Die Diebe sind auf der Rückseite, nicht auf der
Vorderseite eingestiegen. Wenn Sie sich näher umschauen, werden Sie sehen, daß
sie das Waschraumfenster eingeschlagen haben, durch das Klo geklettert sind und
von innen die Hintertür entriegelt haben.«
    Einer von ihnen machte »Oh« und ging nachsehen. Der
andere holte sein Notizbuch hervor. Ich sagte milde: »Die Einbrecher hatten
eine Schrotflinte und … äh … haben auf uns geschossen. Sie flüchten
jetzt in einem grauen Bedford Transporter mit braunen Seitenstreifen,
Kennzeichen MMO 222 Y , der
etwa vier Kisten Rotwein enthält … und es sollte mich nicht wundern, wenn
sie schon zehn Meilen weit gekommen sind.«
    »Ihr Name, Sir?« sagte er freundlich.
    Ich hätte kichern mögen. Aber ich nannte ihm meinen
Namen, und muß ihm der Gerechtigkeit halber zugestehen, daß er keine Zeit
verlor, als er einmal begriffen hatte, daß Rot nicht zum eigentlichen
Farbmuster von Gerards Jacke gehörte. Gerard und ich fanden uns schließlich in
der Unfallabteilung des großen Stadtkrankenhauses wieder, wo er in unsichtbare
Regionen entführt wurde und ich mit nacktem, frisch gewaschenem Arm an einem
Tischchen saß, während mir eine mittelalterliche Krankenschwester unbeteiligt
und gekonnt mit einem glitzernden Instrument, ähnlich einer Pinzette, die
Schrotkörner entfernte.
    »Sieht aus, als hätten Sie das schon öfter
gemacht«, stellte ich fest.
    »Jedes Jahr während der Jagdsaison.« Sie zögerte.
»Tut das weh?«
    »Nein, nicht direkt.«
    »Gut. Einige sitzen tief. Wenn die örtliche
Betäubung nicht ausreicht, melden Sie sich.«
    »Ganz bestimmt«, versprach ich.
    Sie stocherte eine Weile herum, bis elf rot
verfärbte schwarze Kügelchen in die Schüssel gerasselt waren, jedes groß genug,
um einen Fasan zu töten; und zu meiner morbiden Belustigung sagte sie, ich
könne sie mir gern mit nach Hause nehmen, das täten viele Leute.
    Mit meiner Jacke im Arm und einer Art Strickröhre
über dem Wundverband, die meine zerfetzten Hemdärmel ersetzte, ging ich auf die
Suche nach Gerard. Ich entdeckte ihn in einer Kabine, auf einem Rollstuhl
sitzend, mit einem krankenhauseigenen rehbraunen Morgenmantel über seiner Hose
und mit abgrundtief gelangweilter Miene. Er hatte innerlich und äußerlich zwar
aufgehört zu bluten, doch wie sich herausstellte, war an mehrere Schrotkörner
mit Pinzetten nicht heranzukommen gewesen, so daß er über Nacht dableiben
mußte, bis am Morgen das Stammpersonal wieder erschien. Nur
Auf-Leben-und-Tod-Falle wurden sonntags behandelt, nicht kleine Bleikugeln, die
hinterm Schlüsselbein festsaßen.
    Er sagte, er hätte mit Tina, seiner Frau,
telefoniert, die ihm seinen Pyjama bringen werde. Tina würde auch seinen Wagen
abholen und die Scheibe reparieren lassen; und ich fragte mich, ob er Tina auch
gesagt hatte, daß die Samtpolsterung dort, wo sein Kopf gewesen wäre, hätte er
sich nicht auf die Seite geworfen, weit aufgerissen war und die Füllung
herausquoll.
    Ich fuhr mit dem Taxi zu meinem Laden zurück und
überzeugte mich davon, daß die Polizei wie versprochen das nicht vorhandene
Waschraumfenster hatte verschließen lassen. Ich ging zur Vordertür hinein,
machte Licht und schätzte den Umfang des Schlamassels ab, den ich allerdings
nicht voller Zorn, sondern rein praktisch als Reparaturfrage betrachtete.
    Wenn auch mein Arm nicht bleibend geschädigt war,
zu viel war er vorläufig nicht zu gebrauchen. Das Stemmen von Weinkisten konnte
warten. Ebenso das Auffegen von Glasscherben. Gott sei gedankt für Brian,
dachte ich müde und vergewisserte mich, daß die Riegel an der Tür wieder in
Position waren und die Sperrholzplatte im Waschraum ordentlich vernagelt war.
    Ich ließ alles, wie es war, schaltete das Licht aus
und ging wieder zur Vordertür hinaus. Sung Li kam zaudernd, mit sorgenvoll
gefurchter Stirn, aus seinem Restaurant.
    »Ach, Sie sind es, Mr. Tony«, sagte er
erleichtert. »Nicht noch mal Einbrecher.«
    »Nein.«
    »Möchten Sie etwas zu sich nehmen?«
    Ich zögerte. Ich hatte zwar den ganzen Tag noch
nichts gegessen, spürte aber keinen Hunger.
    »Essen ist am besten«, sagte er. »Zitronenhühnchen,
Ihr Favorit. Ich habe frisches gemacht.« Er verneigte sich leicht. Ich
erwiderte seine Verbeugung höflich und ging mit ihm hinein. Zwischen uns
bestand die gleiche Art von Förmlichkeit wie zwischen mir

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