Weinprobe
der
Hand.«
»Die haben sich an meinem Wein vergriffen.«
Nach einer Pause sagte er: »Was meinen Sie, an
welchem Wein?«
»Eine verdammt gute Frage. Ich seh’ mal nach«, sagte ich.
»Kommen Sie zu recht?«
»Ja.«
Ich ging über den Hof zu meiner Hintertür, empfand
zwar die warme Klebrigkeit an meinem rechten Arm, spürte das unangenehme
Stechen von der Schulter bis zum Handgelenk, war aber merkwürdigerweise nicht
darüber beunruhigt. Ellbogen und Finger gehorchten noch jedem Befehl, wenn ich
auch nach den ersten Krümmversuchen beschloß, sie vorläufig stillzuhalten. Nur
die Randsplitter des Schusses hatten mich erwischt, und verglichen mit dem, was
hätte passieren können, störte mich das im Moment wahrhaftig kaum.
Ich sah jetzt auch, wie die Diebe eingestiegen
waren: Das vergitterte Waschraumfenster war komplett, mitsamt Rahmen und Gitter
nach innen gedrückt worden und hatte eine Öffnung hinterlassen, die groß genug
für einen Mann war. Ich ging in den Waschraum, über knirschende Glasscherben,
und wickelte mir das Tuch, mit dem ich normalerweise nach den Weinproben der
Kunden die Gläser trocknete, mehrmals ums Handgelenk, um die roten Rinnsale
abzufangen, bevor ich nachschauen ging, was ich eingebüßt hatte.
Zunächst einmal hatte ich nicht meinen kleinen
Vorrat an wirklich überragenden Weinen verloren, die in Holzkisten hinten im
Lagerraum standen. Die Besten, der im Wert steigende Margaux, der Lafite, waren noch da.
Auch hatte ich weder meine zehn Kisten Champagner
noch sechs ganz besondere Flaschen alten Cognac verloren, ja nicht einmal eine
bequem greifbare Kiste mit Wodka. Die Kartons, über die ich auf dem Gang
gestolpert war, standen alle oben offen, so daß die Flaschenhälse herausschauten,
und wenn man in den Laden kam, erkannte man auch den Grund.
Die Einbrecher hatten die Flaschen aus den
Gestellen genommen. Noch seltsamer, sie hatten sämtliche angebrochenen
Weinflaschen, die wiederverkorkt auf dem Probiertisch standen, und sämtliche
offenen Kisten unter dem Tisch weggeholt.
Die Weine auf und unter dem Tisch stammten aus Saint-Emilion,
Volnay, Côtes de Roussillon und Graves, ausschließlich rote. Die aus
den Ladengestellen verschwundenen Weine waren wieder die schon genannten und
einige Saint-Estèphes, Nuits Saint-Georges, Mâcons und Valpolicellas; ebenfalls alle rot.
Ich ging zurück auf den Hof und bückte mich, um mir
den Inhalt der Kiste anzuschauen, mit der Räuber Nummer zwei mich gerammt
hatte, bevor er sie fallen ließ. Sie enthielt einige der Flaschen vom
Probiertisch, vier waren zerbrochen.
Ich richtete mich auf, ging zu Gerards Wagen
hinüber und war erleichtert, daß es nicht schlimmer aussah.
»Nun?« sagte er.
»Das waren keine gewöhnlichen Einbrecher«, sagte
ich.
»Ich höre.«
»Sie hatten es nur auf die Weinsorten abgesehen,
die ich im Silver Moondance gekostet habe. Die Weine, die nicht mit den
Etiketten übereinstimmten.«
Er sah mich an, war sichtlich bemüht, den Zusammenhang
herzustellen.
Ich sagte: »Ich habe diese Weine – die betreffenden
– im Silver Moondance gekauft. Sie bezahlt. Mir vom Barmann eine
Quittung geben lassen. Er muß geglaubt haben, ich hätte sie mitgenommen …
aber tatsächlich hat die Polizei sie. Sergeant Ridger. Er gab mir auch eine
Quittung.«
»Das heißt also«, sagte Gerard langsam, »wenn Sie
diese Weine hier in ihren Laden gebracht hätten, wären sie heute verschwunden.«
»Genau.«
»Jedenfalls, eine halbe Stunde später …«
Ich nickte.
»Sie müssen außerordentlich wichtig sein.«
»Mm«, sagte ich. »Wäre schön zu wissen, wieso.«
»Wieso haben Sie sie denn gekauft?«
Wir redeten beide, merkte ich, um der absurden
Realität, daß zwei Durchschnittsengländer an einem Sonntagnachmittag in einer
Kleinstadt aus Schußwunden vor sich hin bluteten, den Anschein des Normalen zu
geben. Ich dachte: »Das ist doch das letzte«, und ich antwortete ihm höflich:
»Ich habe sie wegen der Etiketten gekauft … um zu sehen, ob auch die
Schilder gefälscht waren. Kuriositätenjagd. Wie beim Briefmarkensammeln.«
»Aha«, sagte er seelenruhig.
»Gerard …«
»Ja?«
»Es tut mir sehr leid.«
»Das sollte es auch. Törichtes Verhalten.«
»Ja.«
Wir warteten noch einige Zeit, bis ein
Streifenwagen ohne Hast in den Hof einrollte. Ihm entstiegen zwei neugierige
Polizisten, die sagten, sie hätten an der Weinhandlung keine Spuren eines
Einbruchs entdecken können und ob wir wüßten, wer sie
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