Weinrache
der Architekt der ›Villa Stella‹. Marcel Breuer.«
Tiri schaute sich um, blieb aber am Herd stehen. »Wie kommst du ausgerechnet auf die ›Villa Stella‹? Kennst du das Haus?«
»Ich war mehrmals dort, während des Umbaus. Arthur hat die Einrichtung des Restaurants übernommen. Für Bruno Taschenmacher, er ist ein Freund meines Mannes. Bruno besitzt mehrere Restaurants in Wiesbaden. Vielleicht hast du von ihm gehört?«
Tiri ging nicht auf die Frage ein. Er hatte sich abgewandt, um den Tee in die Kanne zu schütten. Nachdenklich betrachtete Norma seinen stämmigen Rücken, während beide darauf warteten, dass das Wasser zu kochen begann. Die Vernunft befahl ihr, aufzustehen und nach Hause zu fahren. Aber die Neugierde hatte ein Wörtchen mitzureden.
Mit der Teekanne kam er an den Tisch und stellte zwei Becher dazu. Er setzte sich Norma gegenüber, strich sich mit fahriger Hand die Haare aus der Stirn.
Norma tippte auf den Kannendeckel. »Ich glaube, der Tee hat lange genug gezogen. Soll ich einschenken?«
Sie hatte gar nicht gespürt, wie durstig sie war. Vorsichtig schlürfte sie den heißen Tee. »Was ist schief gegangen?«
Er blickte von seinem Becher auf. »Schief gegangen? Was meinst du damit?«
Sie nahm einen weiteren kleinen Schluck. »Warum bist du nicht Architekt geworden? Du hast doch studiert?«
»Bis zum Ende, ja. Ich hatte sogar meine Diplomarbeit fertig, jedenfalls so gut wie fertig.«
Er nippte am Tee.
Norma beobachtete ihn aufmerksam. »Aber du hast die Diplomarbeit nicht abgeliefert?«
»Das war mir nicht möglich. Jemand hatte die Arbeit vernichtet.«
Norma zwang sich zu Geduld. »Was heißt das? Vernichtet?«
Er lachte bitter. »Ganz einfach. Man nimmt einen Knüppel, zertrümmert damit die Modelle, an denen ich Monate lang gearbeitet habe, zerfetzt die Zeichnungen und beschmiert meine aquarellierten Entwürfe mit Dreck. Ein halbes Jahr Arbeit für nichts.«
»Und aus welchem Grund?«
Er zog mit dem Becher enge Kreise über die Tischplatte. »Ich wollte mich nicht aus meiner Wohnung vertreiben lassen. Daraufhin hat mir der Hausbesitzer einen Besucher vorbei geschickt. ›Entmietung‹, so nennt man das.«
Er sei zur Polizei gegangen, erzählte Tiri weiter, habe Anzeige erstattet und bald darauf, aufgrund eigener Nachforschungen, den Namen des Einbrechers herausgefunden. Aber es sei nicht einmal zur Gerichtsverhandlung gekommen. »Der Hausbesitzer hat dem Kerl ein falsches Alibi besorgt. Damit war er aus dem Schneider.«
»Und was hast du daraufhin getan?«
Tiri ließ den Becher los und lehnte sich zurück. Zum ersten Mal erschien er Norma verunsichert. »Willst du das wirklich wissen?«
»Du musst es mir nicht sagen.«
Sie würde es sowieso herausfinden, erwiderte er. Also sollte sie es besser von ihm selbst erfahren. Vielleicht könne sie seinen Hass erahnen? Sich seinen Zorn gegen diesen Kerl vorstellen?
»Was hast du getan?«
Mit einem zaghaften Lächeln sah er sie an. »Ich habe mein Leben zerstört. Und beinahe auch seins, als ich versuchte, ihm den Schädel einzuschlagen.«
18
Freitag, der 25. August
Am Nachmittag erhielt Norma die erbetenen Auskünfte. Irene war die Besorgnis anzuhören, als sie ins Telefon flüsterte: »Was auch immer du mit Sundermann zu schaffen hast, sieh dich vor, Norma. Er hat gesessen. Wegen schwerer Körperverletzung.«
Norma nahm den Hörer in die linke Hand, um die Liste der Espressomaschinen abzuspeichern, an der sie gerade tippte. »Weißt du Genaueres?«
Ein Überfall, der in Frankfurt stattgefunden habe, wusste Irene zu berichten. »Sundermann hat Glück gehabt. Weil sein Opfer Glück hatte. Er wäre wegen Totschlags oder sogar Mordes verurteilt worden, hätte sein Opfer nicht so einen Eisenschädel gehabt.«
»Liegt außerdem etwas gegen ihn vor?«
»Reicht dir das nicht? Ein paar Jugenddelikte. Er ist mit Drogen erwischt worden. Und als 18-Jähriger hatte er einen Riesenspaß am Autofahren. Mit geklauten Karren und das Tempo immer am Limit. Das Fahrtalent hat ihm eine Jugendstrafe eingebracht. Trotz der guten Sozialprognose. Seine Eltern gehören zur Upperclass. Der Vater ist Zahnarzt, die Mutter engagiert sich ehrenamtlich. Irgendwo im Schwäbischen.«
Tiri hatte also die Wahrheit gesagt. Kurz nach seiner Enthüllung war sie gegangen, und er unterließ den Versuch, sie zurückzuhalten. Draußen hatte sie zum anderen Haus hinübergesehen und eine Hand an der Gardine bemerkt. Mit Tiris Blicken im Rücken erschien
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