Weinrache
Dienstzeit vorbereitet, hatte sie dem Anblick standgehalten. In Wolferts Blick las sie die Anerkennung über ihre Tapferkeit, in Milanos Augen den aufkeimenden Argwohn, weil sie nicht zusammengebrochen war, wie man es von einer braven Ehefrau erwartete. Später dann, in ihrer Wohnung, hatte sie die Beherrschung verloren. Aber dort durfte sie sich gehen lassen. Niemand beobachtete ihren Schmerz, auch Lutz nicht, der fest auf ihre Stärke baute, und ihr, von der Trauer um seinen Sohn überwältigt, alle Formalitäten überließ.
Die vordringlichsten Regelungen betrafen ›Tanns Antik und Kunst‹. Sie hatte gemeinsam mit Josef Brunner eine Lösung gefunden. Er stieg vorerst als Geschäftsführer ein und wollte den Betrieb innerhalb der kommenden Monate übernehmen, sofern sie sich finanziell einigen würden. An Norma sollte es nicht liegen, aber sie wollte nichts überstürzen. Auch nicht die Entscheidung, was mit der Wohnung geschehen sollte. So kurz nach Arthurs Tod konnte sie sich nicht vorstellen, ihre lieb gewonnene Biebricher Zuflucht zu verlassen und zu Arthurs Antiquitäten und Gemälden zurückzukehren. Den Daimler hatte sie der Werkstatt zum Verkauf überlassen und sich als Anzahlung einen gebrauchten VW-Polo ausgesucht. Der Wagen war in gutem Zustand und unauffällig dunkelgrün lackiert.
Viele Stunden verbrachte sie damit, das Gestrüpp von Arthurs Geldanlagen auszulichten. Dem rätselhaften Schwarzgeld war sie bisher nicht auf die Spur gekommen, aber auch ohne das Zubrot durfte sie ihrer Zukunft gelassen entgegensehen. Sie hatte unversehens einen Wandel vollzogen: von der Privaten Ermittlerin nahe dem Existenzminimum zur wohlhabenden Witwe.
Das war Futter für Milanos und Wolferts Argwohn. Norma rechnete jeden Tag damit, ins Präsidium bestellt zu werden. Wäre es allein nach Milano gegangen, hätte er sie noch neben Arthurs Leiche verhört. Doch an einflussreicher Stelle schien ein Fürsprecher darüber zu wachen, dass man sie bislang in Ruhe ließ. Nach der Trauerfeier wäre die Schonzeit vorüber, war Norma sich sicher, hatte aber nicht damit gerechnet, dass Milano es fertig brachte, sich unter die Trauergäste zu mischen. Wolfert besaß mehr Anstand und war nicht erschienen. Bisher hatte Milano sie nur aus der Ferne beobachtet.
Als sie ihren Platz am Fenster verließ, sprach er sie an. Wie ein Berg stellte er sich in den Weg, das schwarze Hemd sprang über dem Bauchnabel auf. »Wir haben zu reden, Norma!«
Norma schlug einen Bogen zum Büffet. »Hältst du schon den Haftbefehl für mich bereit?«
»Was soll der Spott? Ich mache hier nur meine Arbeit.«
»Wenn das heißen soll, dass du mich wie eine x-beliebige Verdächtige behandeln willst, dann erwarte von mir bitte keine Kooperation.«
Milano schob die Daumen in den Gürtel. »Wer sagt denn, dass ich dich verdächtige?«
Norma nahm eine Wasserflasche auf. »Das sagt mir Arthurs Kontostand, den du wahrscheinlich besser kennst als ich. Erbende Witwen gelten für dich doch von jeher als Hauptverdächtige, Luigi.«
Milano verzog den Mund. »Warum hast du nicht besser auf den Fiesta aufgepasst?«
»Wenn du wissen willst, was mit dem Auto passiert ist, dann frage die Kollegen, die den versuchten Diebstahl aufgenommen haben.«
Er habe das Protokoll gelesen, antwortete Milano mit finsterem Blick.
Ein älteres Paar steuerte auf Norma zu: treue Kunden, die sich verabschieden wollten. Milano rückte keinen Zentimeter zur Seite. Der Mann wollte wissen, wie es mit dem Laden weitergehe. Wiesbaden dürfe ein Geschäft von solcher Qualität nicht verlieren, fügte die Ehefrau bedauernd hinzu.
Als das Paar außer Hörweite war, wandte Norma sich wieder Milano zu. »Was soll ich gestehen? Ich hätte Arthur im Wald überfahren, die Leiche eingeladen, bei mir zu Hause für 11 Tage gebunkert und dann – aus einer Laune heraus – wieder ins Auto geschleppt und in die Fasanerie verfrachtet? Und noch in derselben Nacht, damit man mir nicht auf die Spur kommt, den Fiesta zu Schrott gefahren?«
Milano klatschte leise in die Hände. »Bravo, Norma. Ein spontanes Geständnis! Du hast nur vergessen, deinen Helfer zu erwähnen.«
»Wieso ein Helfer? Traust du mir nicht zu, einen Körper von 80 Kilo durch die Gegend zu tragen und über einen Zaun zu bugsieren?«
Milano beugte sich vor. »Norma, wer hat dir geholfen?«
Sie schenkte sich in aller Ruhe ein Glas Wasser ein. »Also gut, er heißt Leopold. Du darfst ihn Poldi nennen. Er ist ein kräftiger
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