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Weinrache

Weinrache

Titel: Weinrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Kronenberg
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identifiziert. Wenn Sie möchten, können Sie selbst …«
    »Nein, nein!«
    Er war Norma zutiefst dankbar, dass sie ihm diese Aufgabe abgenommen hatte, und schämte sich für seine Feigheit. Er hielt sich die Hände vor den Mund und hüstelte hinein.
    Milano griff nach der Mappe und zog einen Packen zusammengehefteter Blätter heraus. »Das ist der vorläufige Obduktionsbericht. Einige Ergebnisse fehlen noch. Aber wir können inzwischen von einer Tatsache ausgehen: Die Tiere haben ihn nicht getötet.«
    Lutz nickte. Gemeinsam mit der Nachricht, dass Arthur gefunden wurde, hatte man ihm am Vormittag die absurde Theorie über die Selbsttötung übermittelt. Er wollte nicht eine Sekunde daran glauben; weder an den Selbstmord noch an die Methode.
    Milano legte das Schriftstück neben seinen Kaffeebecher. Er zückte wieder das Taschentuch. »Im Gehege hat der Tote keinesfalls länger als zwei Tage gelegen. Es wurden Pflegemaßnahmen an den Bäumen durchgeführt, und man hätte ihn entdecken müssen. Auf welche Weise der Tod eingetreten ist …«
    Lutz schlug mit der Faust auf den Tisch, konnte sich gerade noch beherrschen. Beinahe wäre er aufgesprungen. »Der Tote! Der Tote! Das war mein Sohn! Er hatte einen Namen. Und es ist nicht der Tod eingetreten. Arthur wurde ermordet!«
    Wolfert ergriff das Wort. »Bitte beruhigen Sie sich. Ob es Mord war, wissen wir noch nicht. Nach den jetzigen Erkenntnissen wurde Ihr Sohn Arthur überfahren. Ob mit Absicht oder bei einem Unfall, muss ermittelt werden.«
    Lutz sah zum Fenster hinüber, das nicht mehr war als ein Loch in der Wand. Der Ausschnitt zeigte die nackte Fassade des Nachbarhauses. »Übermorgen sind es zwei Wochen, seit er verschwand. Wo hat er sich solange aufgehalten?«
    Erst jetzt begriff er, was der dürre Polizist eben gesagt hatte. Er wandte sich Wolfert zu. »Wieso überfahren? Im Tiergehege?«
    Wolfert nahm die Mappe in beide Hände und hielt sie sich wie einen Schutzschild vor die Brust. »Wir müssen noch die abschließenden Untersuchungen abwarten. Wie es im Augenblick ausschaut, starb Ihr Sohn nicht im Bärengehege, sondern auf irgendeiner Straße. Er wurde – nach bisherigen Erkenntnissen, wie gesagt – überfahren. Und das geschah vermutlich vor mehr als 10 Tagen. In der Zwischenzeit …«
    Milano übernahm das Wort. »Um es kurz zu machen. Der Zustand des Opfers … der Zustand des Leichnams Ihres Sohnes, Herr Tann, ist, wenn man von den Spuren absieht, die die Bären und Wölfe mit ihren Zähnen und Klauen hinterlassen haben …«
    Wolfert legte seinem Kollegen die Hand auf den Arm. »Was wir Ihnen sagen wollen, Herr Tann: Angesichts der Tage, die Ihr Sohn vermutlich tot ist, befindet sich der Leichnam in einem bemerkenswert guten Zustand. Wie es aussieht, wurde er eingelagert.«
    Dieses Mal sprang Lutz tatsächlich auf. Der Stuhl krachte auf den Steinboden.
    »Eingelagert? Was soll das heißen?«
    Milano sah missbilligend hoch. Wolfert rückte die Brille zurecht. Lutz bückte sich und stellte den Stuhl auf.
    Als Lutz wieder saß, sagte Milano: »Die Leiche wurde eingefroren.«
    Es klopfte. Ein junger Mann trug ein Tablett mit Kaffee herein. Lutz war dankbar für die Unterbrechung, doch Milano ließ ihm wenig Zeit, die ungeheuerliche Nachricht zu verdauen. Er fragte nach Norma und verlangte Einzelheiten über das Verhältnis zwischen ihr und Arthur.
    »Sie erwarten nicht im Ernst, dass ich Intimitäten aus der Ehe meines Sohnes ausplaudere!«
    Milano behielt die Ruhe. »Wir erwarten, dass Sie uns bei der Aufklärung nach allen Kräften unterstützen.«
    »Bei Ihrem Verdacht gegen Norma?« Lutz schüttelte angewidert den Kopf. »Machen Sie sich nicht lächerlich.«
    »Überlassen Sie es getrost uns, auf welche Weise wir uns lächerlich machen«, meinte Wolfert gutmütig. Er verstehe die Empörung. Aber an einer Tatsache könnten sie nicht vorbei: Norma erbe das gesamte Vermögen, das gemessen an ihrer derzeitigen finanziellen Lage einem Sechser im Lotto gleichkomme. Dazu gesellten sich zwei Lebensversicherungen, die ohne Angabe eines Namens auf die Ehefrau ausgestellt seien. Und bislang stehe die Scheidung noch aus.
    Lutz widersprach. »Ach, und nun denken Sie, Norma hätte vorher die Notbremse gezogen? Unsinn! Norma kümmert das Vermögen nicht. Sie hat ihr Auskommen. Hätte sie sonst freiwillig auf ihre Unterhaltsansprüche gegen Arthur verzichtet? Statt ihren Mann umzubringen, könnte sie ihr Geld ohne Mühe einklagen.«
    Wolfert nickte zustimmend.

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