Weinrache
»Nun gut, lassen wir die finanziellen Erwägungen vorerst aus dem Spiel. Bleiben noch die Motive Hass und Eifersucht, die, glauben Sie mir, mindestens ebenso antriebsstark sind wie Habgier. Und für beide Motive gibt es handfeste Gründe. Oder wollen Sie uns auch in diesem Punkt widersprechen?«
Lutz nahm einen Schluck Kaffee, ein bitteres Gebräu aus einem miserablen Automaten. »Sie reden von Diane Fischer? Die Liebelei zwischen Diane und Arthur hat für Norma keine Bedeutung. Sie war es, die sich die Trennung wünschte. Arthurs Affären kümmerten sie nicht mehr.«
»Das ist keine Gewähr«, wandte Milano mit schmalem Lächeln ein. »Frauen sind nachtragend wie Elefanten.«
Lutz betrachtete ihn missbilligend. Dieser aufgeblasene Macho bot ein willkommenes Ziel, um Dampf abzulassen. »Sprechen Sie aus eigener Erfahrung?«
Milano behielt das Lächeln bei. »Bleiben Sie sachlich, Herr Tann. Kommen wir zum Motiv Hass.«
Er zog die braune Mappe heran und tippte mit dem Zeigefinger auf den Pappdeckel. »Ich habe Einblick in den psychologischen Bericht, der nach dieser Entführung in Kolumbien über Norma erstellt wurde. Dort ist etwas vorgefallen zwischen ihr und ihrem Mann, was ihr sehr zu schaffen machte. Was können Sie uns darüber sagen?«
Lutz lehnte sich unwillkürlich zurück und verschränkte die Arme. »Ich weiß es nicht. Mit mir will sie nicht darüber reden. Und wenn doch, würde ich kein Wort an Sie weitergeben. Fragen Sie Norma!«
Wolfert beugte sich vor und nahm Lutz durch die Brillengläser in Augenschein. »Ich stelle fest: Ihnen ist aufgefallen, dass die Ereignisse in Kolumbien irgend-etwas in Ihrer Schwiegertochter ausgelöst haben.«
»Was wollen Sie eigentlich? Norma wurde in Kolumbien entführt. Reicht das nicht, um aus dem Gleichgewicht zu geraten?«
Lutz blickte wieder zum Fenster hinüber, das immer noch nichts anderes zeigte als die graue Mauer nebenan. Der Nachmittag in Arthurs Wohnung kam ihm in den Sinn, als Norma zum ersten Mal von dem Streit auf der nächtlichen Fahrt durch den Taunus erzählte. Sie hatte sich in Andeutungen verloren; mit einer spürbaren Beunruhigung, die er den Sorgen über Arthurs Verschwinden anrechnete. Oder gab es etwas anderes, das ihr zu schaffen machte? Hatte sie ihm ein schreckliches Geheimnis offenbaren wollen? Stand sie kurz davor ihm zu sagen, sie habe dort auf der einsamen Landstraße ihren Mann getötet?
Wolfert räusperte sich und wartete geduldig, bis Lutz ihn anschaute. »Lassen Sie uns über das Auto sprechen, Herr Tann. Ist Ihnen an dem Ford Fiesta etwas aufgefallen seit jener Nacht, in der Arthur sich auf Nimmerwiedersehen davonmachte? Eine frische Beule?«
Lutz wischte sich über die Stirn, als ließe sich sein haarsträubender Verdacht mit einem Handstreich verscheuchen. »Warum untersuchen Sie den Wagen nicht einfach?«
»Zu spät«, knurrte Milano.
»Was soll das heißen?«
Milano schnaufte. »Sie wissen es nicht? Vorgestern Nacht hat angeblich ein dussliger Autodieb den netten kleinen Wagen Ihrer Schwiegertochter gegen eine Wand gesetzt. Norma hatte nichts Eiligeres zu tun, als den Wagen verschrotten zu lassen.«
Lutz sammelte seine Gedanken. »Sie stellen sich also vor, Norma hätte Arthur überfahren, ihn dann in einem Kühlhaus eingelagert, ihn zwei Wochen später wieder in den Fiesta gepackt und im Bärengehege ausgelegt. Um alle Spuren zu beseitigen, ließ sie danach den Wagen verschwinden. Ein widerwärtiges Hirngespinst!«
»Meine Fantasie«, erklärte Wolfert gelassen, »reicht nicht aus, mir auszumalen, wozu ein Mensch gegenüber seinesgleichen fähig ist.«
Lutz spülte seine trockene Kehle mit einen Schluck Kaffee. »Wie sollte sie das alleine bewältigen?«
Wolfert stimmte ihm zu. Ohne einen Helfer? Schwer vorstellbar.
»Hat Sie einen Geliebten?«, polterte Milano.
»Keine Ahnung!« Lutz erhob sich. »Ich möchte jetzt gehen. Oder liegt etwas gegen mich vor, das Ihnen das Recht gibt, mich festzuhalten?«
Milano entließ ihn mit einem Winken. Wolfert bedankte sich höflich.
An der Tür wandte Lutz sich um. »Wie passt das Bärengehege in Ihre Theorie? Was sollte Norma bewogen haben, ihn ausgerechnet dort hinzubringen?«
Lutz erhielt keine Antwort. Und das ratlose Schweigen war ihm ein geringer, aber doch spürbarer Trost.
30
Donnerstag, der 7. September
Dicke Tropfen schlugen gegen die Scheiben, und der Blick in den verregneten Kurpark schien die Stimmung der Trauergäste wiederzugeben, die Normas
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