Weinzirl 02 - Funkensonntag
ernst an. So als hätte er sie
eingeweiht in ein Geheimnis. In seinem Zimmer war es warm wie in einer
angenehmen Höhle, die man nach langer Wanderung endlich erreicht hat. Er zog
sie in einer Art und Weise aus, die gar nicht fordernd war, nichts verlangte,
sondern so sein musste. Es war ein Schwebezustand, völlig losgelöst vom Leben
da draußen. Eine Nacht, in der sie nicht eine Millisekunde an irgendetwas
anderes gedacht hatte.
Jo erwachte früh vom Bellen eines Hundes auf einem der umliegenden
Bauernhöfe. Es dämmerte, jene Zeit, zu der Kater Moebius, schnurrend seiner
Begeisterung für den neuen Tag Ausdruck zu verleihen pflegte. Aber heute lag da
ein Mann und das ganz ruhig. Jens war braun gebrannt, weil er erst kürzlich auf
einer Tauch-Pressereise in Ägypten gewesen war. Er schien kaum zu atmen. Er lag
da, nackt und irgendwie verletzlich, und auf einmal überfiel Jo eine Welle
unkontrollierter Zärtlichkeit, die sie in ihrer Heftigkeit überraschte und
verwirrte. Sie hatte das Gefühl, ihm unbedingt sagen zu müssen, dass es schön
gewesen sei. Aber hätte sie ihn wecken sollen? Sie bemerkte plötzlich, wie
abhängig sie von Sprache war, wie sie an Unausgesprochenem immer wieder zu
ersticken drohte.
Sie zog sich leise an, das Bücken kam gar nicht gut, und schlich
durch den Gang. Oder besser: sie versuchte es, denn der Boden knarzte
verräterisch. Die Eingangstür war versperrt. Jo erinnerte sich an eine zweite
Tür zur Terrasse. Die war offen. Sie schlüpfte hinaus. Der Wind war abgeflaut.
Ihr Herz klopfte wie eine Kreiselpumpe. Sie fuhr die Kurven nach Diepolz
hinüber, parkte an der Kirche und ging langsam und schwer atmend den steilen
Weg zur Höfelealpe hinauf. Dort lehnte sie sich an die Brüstung der Terrasse.
Es war unendlich still. Das Licht kam langsam hinter den anthrazitfarbenen
Bergen hervor, sie standen Spalier – die Ammergauer bis hinüber zum Schweizer
Säntis. Jo ging langsam wieder hinunter und war beruhigt und besänftigt.
Als sie ihr Häuschen betrat, lag Moebius regungslos in Jos Bett.
Ohne Frauchen hatte er auch keine Lust, den Tag zu begrüßen. Die beiden
Katzenladys waren wohl beim Frühsport, aber Jos Kaninchen Frau Hrdlicka war
hochaktiv. Sie hatte nämlich seit einigen Tagen eine Kumpeline. Frei nach dem
österreichischen Kultfilm »Indien« hieß diese Frau Bösl. Vormals hatte sie
Mucki geheißen und in Einzelhaft in einem Käfig gesessen. Nun führte Frau
Hrdlicka sie in die opulente Welt eines freilaufenden Karnickels ein. Und Bösl
hatte schnell begriffen: Sie nagte an einem Rattan-Stuhlbein, dass die Fasern
flogen. Egal – Jo kroch ins Bett, ein bisschen Schlaf sollte noch drin sein,
bevor sie die Journalisten verabschieden musste. Sie dachte an Jens, bevor sie
einschlief. Sie hatte Bedenken, dass sie ihm zu viel Macht über sich eingeräumt
hatte.
Jos Wecker schepperte penetrant um acht. Jos erste Empfindungen
waren Herzrasen, Kopfschmerzen und Übelkeit. Kater pur! Sie fühlte sich zu
schwach, um überhaupt einen Cappuccino zu machen, außerdem verursachte ihr der
Gedanke an warme Milch Würgereize. Sie duschte minutenlang und fuhr zum
Bergstätter Hof.
Die Journalisten saßen noch beim Frühstück, das Buffet konnte sich
sehen lassen. Jo wurde wieder übel. Sie bestellte sich einen Schwarztee. Wenn
Jo Tee trank, war sie entweder sehr krank oder sehr verkatert. Oder beides!
Jens saß auch vor einem Tee und nagte lustlos an einer Breze. Alle wirkten
angeschlagen, die Gespräche waren so zäh wie Plastilin. Als alle auf ihr Zimmer
zum Packen gingen, war die Leere wie ein schwarzer Schlund, der sich immer mehr
weitete. Jo merkte, wie es ihr die Füße wegzog. Kurz bevor sie stürzte, kam die
Hotelchefin und verwickelte Jo in ein Gespräch.
Die Journalisten tauchten wieder im Foyer auf. Jo begann Hände zu
schütteln und zu versichern, wie sehr sie sich gefreut habe. Der Bus fuhr vor.
Dann kam Jens und hob seine Sporttasche ins Gepäckfach. Er schien einsteigen zu
wollen. Jos Blick durchbohrte seinen Rücken, erdolchte ihn gleichsam, und
tatsächlich drehte er sich um. Jo machte einen Schritt auf ihn zu, Jens ging
ebenfalls in ihre Richtung. Noch zwei, und Jens drückte seine Wange rasch
links, rechts auf ihre Wange.
»Schön, dass du da warst, solltest du noch ‘ne Info brauchen, ich bin
jederzeit erreichbar.« Jo schluckte schwer.
»Ja, äh, danke für alles.« Dann stieg er in den Bus.
Jo umarmte Alexandra, und das Fahrzeug fuhr an. Winken an den
Fenstern,
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