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Weinzirl 02 - Funkensonntag

Weinzirl 02 - Funkensonntag

Titel: Weinzirl 02 - Funkensonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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Jens hatte lasch die Hand gehoben. Sie wollte losrennen, sich vor den
Bus werfen, vielleicht einen Schlagbaum herbeizaubern, Jens anflehen zu bleiben
– doch das Gefährt entschwand langsam durch eine Kurve. Jo war so hilflos in
ihrer Sprachlosigkeit. Kann man an Hilflosigkeit sterben, so wie an einer
unheilbaren Krankheit?, fragte sie sich gequält.
    »Anstrengend diesmal, hmm? Die Stimmung war emotional ziemlich
aufgeladen. Na ja, kein Wunder bei dieser grauenvollen Geschichte mit der
Funkenleiche.«
    Die Hotel-Chefin, war neben Jo getreten. Jo war sich nicht sicher,
wie sie das mit den Emotionen gemeint hatte. Sie war alarmiert, bezog das
Gesagte auf sich. Das Herzrasen setzte wieder ein.
    »Es wird Ärger geben«, mutmaßte die Chefin, »ich rechne mit
Gäste-Stornos.«
    Jo atmete hörbar durch.
    Die Chefin nickte ihr aufmunternd zu: »Das wird schon werden. Der
Mensch, vor allem der Urlaubsmensch, vergisst schnell.«
    Das mochte sein, dachte Jo, aber wie schnell würde sie Jens
vergessen können?

3.
    Gerhards Montag begann ebenfalls turbulent. »Den Schlüssel zu einem
Mord musst du in vierundzwanzig Stunden finden«, hatte ihm vor Jahren mal ein
alter Kriminologen-Hase gesagt. »Sonst wird es mühsam.« Und Gerhard argwöhnte,
dass er die Karte mit »mühsam« gezogen hatte. Sein erster Gang führte ihn zur
Funkenwache, zu jenen drei Jungen, die den Funken schließlich fast
vierundzwanzig Stunden lang bewacht hatten.
    Die drei Jungen hatten nichts gesehen und nichts gehört. Zwei von
ihnen, die minderjährig waren, erschienen in Begleitung der Eltern. Sie waren
alle drei betroffen und höchst unsicher. Gerhard gab den guten Bullen, redete
ihnen zu und zeigte Verständnis.
    »Wenn ihr irgendwas gesehen habt, auch wenn es euch noch so
unwichtig vorkommt, dann erzählt es mir.«
    Die Antwort war Schweigen.
    Gerhard versuchte es weiter.
    »Vielleicht fühlt ihr euch jemandem verpflichtet, wollt jemanden
nicht reinreiten. Heh, Jungs, das verstehe ich, aber es geht hier um Mord. Ihr
müsst reden, wenn ihr etwas gesehen habt.«
    Schweigen.
    Eine der Mütter verlor völlig die Fassung und schrie hysterisch:
    »Wenn mein Sohn etwas gesehen hätte, würde er es sagen. Jetzt seien
Sie doch nicht so penetrant.«
    Und ehe Gerhard noch etwas erwidern konnte, sagte ein Junge namens
Benedikt mit sehr klarer vernünftiger Stimme: »Mama, lass gut sein. Der Herr
Kommissar hat doch Recht. Wir hätten doch was merken müssen!« Und zu Gerhard
gewandt fuhr er fort: »Wir hätten etwas merken müssen, aber das war eine ganz
normale Funkenwache. Höchstens unnormal, weil es so geregnet hat.«
    Der Zweite, ein gewisser Florian, ein kleiner, kräftiger Kerl, nahm
sich das alles so zu Herzen, dass er einen Weinkrampf bekam und immer wieder
schluchzte:
    »Da ist einer tot, und wir sind schuld.«
    Gerhard konnte ihn mühsam beruhigen und schließlich musste das
Verhör abgebrochen werden.
    Arme Kerle, dachte Gerhard. Wie oft hatte er den Funken bewacht! Da
wurde gesoffen, schlüpfrige Witze wurden erzählt und Männlichkeit versprüht,
obgleich man jung genug gewesen war, noch Angst im Dunklen zu haben. Wenn er
sich vorstellte, dass zu seiner Zeit eine Leiche aus einem Funken gezogen
worden wäre, den er bewacht hätte, das hätte er sich nie verziehen. Das taten
die Jungen wohl auch nicht. Zumindest die beiden Jüngeren. Der Ältere, Quirin
Seegmüller, erschien ihm rätselhaft. Da Quirin volljährig war, hatte er ihn
gebeten, noch da zu bleiben, als die anderen beiden tief verstört gegangen
waren. Aber auch Quirin versicherte, nichts gesehen zu haben. Er antwortete
unwirsch und gerade das Nötigste, bis Gerhard, der wirklich vorgehabt hatte,
die Jungen mit Samthandschuhen anzufassen, ärgerlich wurde.
    »Quirin, bitte, reiß dich zusammen und beantworte meine Fragen.«
    Und da kam von Quirin der merkwürdige Satz: »Welches der Worte du
sprichst, du dankst dem Verderben.«
    Als ob das Gerhard irgendwas erklärt hätte, als ob das für Gerhard
ausgereicht hätte als Begründung für das folgende Schweigen! Gerhard versuchte
es erneut.
    »Quirin, wenn du irgendwie Hilfe brauchst …?« Er brach ab. Der Junge
brachte ihn aus dem Konzept. »Deine Kumpels haben sich das sehr zu Herzen
genommen, sie machen sich Vorwürfe. Das müsst ihr aber nicht.«
    Quirin nickte. »Wer bin ich, dass ich die Empfindungen meiner
Freunde kommentiere. Jeder fühlt anders, jeder bewertet anders.«
    Und wieder sagte er das so, als wäre damit alles erledigt.

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