Weinzirl 04 - Gottesfurcht
geschnitzten Tierchen. »Du weißt ja, meine Schöne,
ich bin computermäßig eine Wildsau und mein Kollege Baier hier«, er sah Baier
prüfend an, der wild nickte, »auch. Wir brauchen Hilfe, auch weil wir
weihnachtsbedingt recht schlecht besetzt sind.« Er hörte ihr zu und antwortete:
»Ja, wir sind hier. Danke, bella !«
Gerhard lächelte,
als er sich Baier zuwandte. »Meine ehemalige Kollegin Evi Straßgütl. Sie
versucht seit Jahren, Italienisch zu lernen. Deshalb › bella ‹. Aber die
Frau ist eine Göttin, was Computer betrifft. Sie entlockt denen Dinge, die wir
in tausend Jahren nicht finden.«
»Göttin? Soso!«
Baier grinste.
»Ja, auch optisch,
ach die gute Evi.« Gerhard seufzte.
»Na, da haben Sie
einen schlechten Tausch gemacht, was, Weinzirl?« Baier zwinkerte ihm zu und
klopfte sich auf den Bauch. »So ein alter Sack mit Hendlfriedhof wie ich statt
‘ner Göttin!«
»Nein, so war das
nicht gemeint! Evi ist durchaus was fürs Auge, aber mit Frauen arbeiten kann
ganz schön stressig sein.« Er verschwieg, dass die stressige Phase jene gewesen
war, in der er eine Affäre mit Evi gehabt hatte und er es gewesen war, der
keine klare Linie gefunden hatte. Dass er von Evi erfahren musste, dass er
eigentlich Jo liebte, und dass die Mädels inzwischen längst beste Freundinnen
waren. Versteh einer die Frauen!
»Sauber!«, sagte
Baier. »Dann pack mers.« Gerhard runzelte die Stirn. »Na, Sie müssen was essen
mit Ihrem verkaterten Schädel. Was Kräftiges. Und Sie brauchen ein Weißbier.
Der Pegel sinkt sonst zu schnell ab. Auf zum Dachs.«
Als Gerhard eine
gewaltige Portion Presssack weiß-rot verdrückt und das Weißbier echte Linderung
gebracht hatte, fiepte sein Handy. »Wir fahren ins Büro, ich melde mich in zehn
Minuten und schalte dich auf Lautsprecher, dass Baier mithören kann. Melde mich
in Kürze. Das war Evi«, sagte er zu Baier gewandt. »Sie hat was.«
»Fixes Mädchen,
Herrschaft Zeiten!«
Gerhard und Baier
hatten sich auf die Stühle gefläzt. Baier ließ es sich nicht nehmen, Evi mit
»werteste Kollegin« zu begrüßen. Und dann lauschten sie Evis Ausführungen so
gebannt, als würden sie ein dramatisches Hörspiel verfolgen.
»Also Draxl und
Kölbl stammen beide aus Maxlried, Ortsteil von Oberhausen.«
»Aber Kölbl ist
Garmischer«, warf Gerhard ein.
»Herzblatt«, sagte
Evi tadelnd, »Kölbl ist in Garmisch zur Welt gekommen, weil seine Mutter dort
während der Kriegswirren bei einer Schwester untergekommen ist, seit 1943, da
war Kölbl zweieinhalb, war die ganze Familie in Maxlried. Draxl lebte immer
schon dort, sein Vater ist ‘45 noch gefallen. Die Mutter war bettelarm und hat
es irgendwie geschafft, die drei Kinder aufzuziehen. Euer Draxl war der
Mittlere. Ich hab da mal in Zeitungsarchiven nachgelesen: Dieses Maxlried hatte
im Sommer zweihundertjähriges Jubiläum. Das wissen Sie ja sicher, Herr Baier,
das war ein Ansiedlungsprojekt von König Max I., so wie es viele solcher
Projekte gibt mit der Silbe Max. Er fand für Maxlried nur achtzehn Familien,
der Moorboden – Fuiz sagen sie in Bayern dazu, hab ich gelesen – bot kein
Auskommen.«
Baier mischte sich
ein. »Ja, die Alteingesessenen hatten für die Landfahrer, also Knechte, Mägde,
Dienstboten, den Spruch: Maxlried achtzehn Häuser, neunzehn Dieb.«
»Ja, genau, was aber
nicht haltbar ist. Die Kolonisten mussten nämlich einen guten Leumund aufweisen
und waren keineswegs, wie die Legende es besagte, Sträflinge. Sie hatten
einfach keine Chance, dem Moorboden, der auch noch ständig überschwemmt wurde,
etwas abzuringen. Und aus diesem Umfeld stammen Draxl und Kölbl, Draxl war noch
weit schlechter dran.«
»Okay, Evi, du bist
genial. Noch genialer allerdings wäre, wenn du nun aus unserem Berliner auch
einen Maxlrieder zaubern könntest. Dann hätten wir unseren Zusammenhang.«
Evi lachte. »Einen
Maxlrieder nicht, aber einen Berger kann ich draus zaubern.«
»Einen was?«
»Berg, auch ein
Ortsteil von Oberhausen«, sagte Baier. »Sonnenseite, Bergblick, große Höfe,
erhaben über den Niederungen.«
»Genau, und damit
kommen wir zu Matzke. Er war eines dieser armen und kränklichen Berlin-Kinder,
die zur Stärkung ins schöne Bayern durften. Oberhausen hatte zu der Zeit ein
Kinderheim. Und Matzke hat sozusagen das große Los gezogen. Er wurde wohl aus
christlicher Nächstenliebe bei der reichen Berger Bauersfamilie Laberbauer
aufgenommen. Er lebte bei denen bis zum Herbst 1957. Dann ist er nach
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