Weinzirl 04 - Gottesfurcht
Bett gestiegen, nackt, bis auf einen String.
Seit wann trug Jo Strings?
»Können wir irgendwo
was essen?«, fragte sie. »Pizza wäre gut, und ein bisschen frische Luft
tanken?«
Die Pizza gab’s im
Okay Italia in Peißenberg, wo Gerhard den Grappa heroisch ablehnte, Jo hingegen
schon wieder einen Ramazotti trinken konnte. Nach einem doppelten Espresso fuhr
er mit ihr an den Staffelsee. Er wollte ihr etwas richtig Schönes zeigen. Er
parkte am Gasthof Alpenblick, und sie schlenderten hinunter ans Wasser. Es war
still, außer ihnen war nur eine Oma mit ihrem Enkel da, der Enten fütterte und
jedes Mal begeistert kreischte, wenn so ein Entenschnabel das Brot erhascht
hatte. Es war windstill und nicht übermäßig kalt, eine Atmosphäre, die sanft
zur Seele war.
»Na ja, so toll
finde ich das hier auch nicht. Ist halt nicht der Alpsee«, sagte Jo nach einer
Weile.
Gerhard schickte
einen Blick über das still ruhende Wasser, in dem sich die Inseln und Berge
spiegelten, und dann drehte er sich um. Im Gehen und den Blick auf seine
Schuhspitzen gerichtet, sagte er leise: »Du verstehst es gut, anderen ihre
Freude zu verderben. Danke fürs Miesmachen. Danke, dass dieser Tag nun auch im
Arsch ist.«
»Auch? Das heißt,
ich mach dir mehrere Tage kaputt? Mach sie dir dauernd kaputt? Toll!«, schrie
Jo und riss an Gerhards Schulter.
Sie war nahe daran,
auf ihn einzuprügeln. Gerhard spürte das. Er packte ihre Handgelenke und drückte
Jo von sich weg. »Ich gehe jetzt, der Autoschlüssel steckt. Fahr zu meiner
Wohnung, steig in dein Auto, und fahr nach Immenstadt, zum Alpsee. In dein
alles geliebtes Allgäu. Hier gefällt es dir ja wohl nicht.« Ich gefall dir
nicht. Mein Leben, mein Beruf gefällt dir nicht, hat dir nie gefallen. Das aber
dachte er nur. Gedanken ungefiltert anderen um die Ohren zu hauen, dass sie
wirkten wie Ohrfeigen, das war ja nun mal Jos Spezialität. Nicht seine. Langsam
ging er auf das Alpenblickgebäude zu, über den Parkplatz und hinein in den
kleinen Wanderweg hinauf nach Uffing.
Jo starrte ihm erst
nach und rannte dann los. »Gerhard, warte. Wieso bist du so?«
»Ich bin so? Du! Du
bist so! Gedankenlos! Egoistisch! Lass mich los, und sei bitte so nett, nicht
mehr da zu sein, wenn ich komme!«
Jo schluchzte. Sie
war sprachlos und machtlos, weil sie doch solche Angst hatte, er würde hier
bleiben wollen. Angst um diese fragile Beziehung, Angst, ihn zu verlieren,
bevor sie ihn richtig gefunden hatte.
»Mach das, was du
immer gemacht hast. Tröste dich mit ‘nem anderen. Ruf einen deiner Ex-Lover an!
Erfinde ‘nen Termin in Hamburg, dann kannst du Jens treffen, den kriegst du
bestimmt ins Bett. So ein Weichei wie der ist, so ein labiler Softie, wird der
seinen Vorsätzen sicher untreu. Oder Martl, seine Frau sitzt immer noch im
Gefängnis. Der lebt ja nur noch für seine Kinder, hört man, aber so ein Kerl
wie der wird es sich ja auch nicht rausschwitzen, gerade der! Ach ja, Marcel
lass raus aus deiner Liste. Da wäre Patti sauer! Aber selbst den würdest du
rumkriegen.« War er das, der da sprach? Und hatte er eben noch gedacht, er
könne nicht verletzen mit Worten, die wie Dolche sind?
»Ich finde, du
vergreifst dich jetzt ein bisschen im Ton«, sagte Jo nun sehr, sehr leise.
»Ja? Ja, kann sein,
aber du vergreifst dich seit Jahren im Ton. Immer aufbrausend. Immer nur
schwarz oder weiß. Immer unzufrieden. Wieso bist du nie zufrieden?«
Jo sagte immer noch
nichts.
»Ich beantworte mir
die Frage selbst: Du wirst nie zufrieden sein. Du hast in fünfzehn Jahren so
viel erreicht. Du hast studiert, hast einen Doktortitel, warst bei der Zeitung,
bist jetzt Geschäftsführerin, mehr, als viele andere sich auch nur erträumen.
Aber dir reicht das natürlich nicht, der großen Johanna Kennerknecht, für die das
Leben noch mehr bereithalten müsste. Viel mehr, oder, Jo?«
Sie blieb ihm eine
Antwort schuldig, weil sie sich abgewandt hatte. Ihre Schultern zuckten vom
Weinen.
Diesmal rannte er
ihr hinterher. »Jo, warum bringst du mich immer so auf die Palme? Wieso raste
ich so aus? Ich mag es nicht, dass ich dich so behandle.«
Ihre Augen waren
verkniffen, Fältchen knitterten im Augenwinkel, Furchen durchzogen ihre Stirn.
Sie sprach immer noch ganz leise: »Ich habe mein Leben und meine Erfolge immer
runtergespielt. Wie hätte es jemand wahrnehmen sollen, dass ich auch mal Lob
und Anerkennung wollte. Ich habe innerlich um Liebe gebettelt, kaum merklich
für die Welt draußen. Du hast schon
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