Weinzirl 04 - Gottesfurcht
allerdings
alles andere als lyrisch. »Wie ein Sack« war keine schlechte Beschreibung. Ein
schwerer Mann hing über dem Stein, das Kreuz durchgebogen, die Augen Richtung
Himmel gerichtet. In seiner Brust steckte ein Messer. Gerhard hatte den Begriff
»gepfählt« im Hinterkopf, aber das war kein Pfahl, sondern ein konisch
zulaufender Stein. Eine Hand des Mannes baumelte vor dem Schild, das besagte,
dass der Stein hundert Millionen Jahre alt sei, von Feldspat, Quarz und Glimmer
durchsetzt. Auf der anderen Seite war noch ein Schild befestigt, das von der
historischen Dimension des Hofes »Zum Süßbauer« kündete: Ein Hof, den
Ganghofer, der Erbauer der Frauenkirche in München, 1460 als Lehen erhalten
hatte.
Das alles hätte
Gerhard ja durchaus als lehrreich empfunden, wenn der Tote nicht gewesen wäre.
Ein Toter, der ebensolches Grauen in den aufgerissenen Augen trug wie Kölbl,
oder Schlimmeres. Mitten auf seiner Brust neben dem Messer lagen ein
Eichenblatt und ein Mistelzweig, die mit dem Blut des Toten getränkt waren.
Baier schüttelte nur
unentwegt den Kopf, unfähig, das, was er sah, in Worte zu fassen. Gerhard trat
mit gerunzelter Stirn zurück und registrierte den Pkw, der am Wegesrand geparkt
war. Ein silberner A 6 mit Berliner Kennzeichen. Er streifte sich Handschuhe
über und öffnete die Fahrertür. Das Auto war unverschlossen, und das Fahrzeug
roch wie das eines starken Rauchers. Das Interieur wirkte wie bei einem
Vorführwagen für Sonderausstattungen. Holzkonsolen, beheizbare Ledersitze,
Navigationssystem, Sonnendach, CD -Wechsler
und so weiter. Gerhard ließ das Handschuhfach aufklappen, es enthielt die
übliche Betriebsanleitung und einen Flachmann. Gerhard schnüffelte: Wodka! Er klappte
die Sonnenblende herunter, und da steckte ein flaches Mäppchen: Der
Führerschein und der Kfz-Schein. Das Auto gehörte einem Paul Matzke.
Gerhard stieg aus
und sah direkt in Baiers Augen: Der hatte ein Portemonnaie in Händen. »Matzke,
geboren am 2.5.1940 in Berlin«, sagte Baier.
»Shit!«, entfuhr es
Gerhard, sein Kopfschmerz meldete sich zurück, stärker als zuvor.
»Herrschaft Zeiten«,
sagte Baier, »das kann ja nun wirklich kein Zufall mehr sein. Kölbl und sein
Abnehmer Matzke, beide in dieses krumme Schnitzlerding verwickelt. Allmählich
glaub ich wirklich, einer der Kollegen Stuckenzeller oder Hareither ist es
gewesen. Aber beweisen müssen wir das, so wie die sich gegenseitig Alibis
geben. Aber nun brauchen die für heute Morgen nochmals Alibis. Gute Alibis! Ich
wiederhol mich. Wir stecken fest.« Er schüttelte sich schon wieder.
In dem Moment kam
der Notarztwagen. Sandy hüpfte heraus. Ihr rotes Haar und der Anorak waren ein
wohltuender Farbklecks.
»Servus, ihr zwei!«
»Sandy, du hast ja
wohl ebenso unerfreuliche Dienstzeiten wie wir.«
Sie lachte, was zum
einen extrem laut war und zum anderen angesichts des Toten unpassend, fand
Gerhard. Sandys Blick streifte ihn. »Sie sehen ungut aus, Herr Weinzirl,
brauchen Sie ein Aspirin?«
»Hatte ich schon«,
brummte Gerhard und hasste die Ärztin, weil sie aussah wie das blühende Leben.
»Hilft nur noch
Notschlachten«, sagte Baier.
Sandy war neben den
Stein getreten. »Na, der Schlachter war wohl schon da. Unappetitlich! Mitten
ins Herz. Muss schnell gegangen sein. Aber zumindest zweifelfrei keine
natürliche Todesursache.« Sie drückte Baier den Totenschein in die Hand und
lächelte. »So, Jungs, mein Dienst endet jetzt, hier und heute. Ich geh ins Bett
und schlafe. Schlafe und schlafe. Wunderbar! Sollten Sie auch machen, Herr Weinzirl!«
Gerhard knurrte.
Baier winkte Sandy zu und ging langsam zur Bank, die neben dem Stein stand,
setzte sich auf die Lehne und starrte geradeaus. Gerhard kam hinterher,
umkreiste die Bank, und auf einmal stieß er mit seinem Schuh an etwas Hartes.
Da lag ein Ochs, ungelenk geschnitzt, im Ochsen steckte ein Schnitzmesser.
Gerhard bückte sich, inzwischen klappte das schon wieder ganz gut. Er zog neue
Handschuhe über und nahm das Gebilde vorsichtig auf – den gepfählten Ochsen.
Blattschuss, dachte er noch, und dann fielen ihm diese Gartenzwerge ein, die
einen Dolch im Rücken hatten. Er hielt den Ochsen Baier mit spitzen Fingern vor
die Nase. Der sah erst das Schnitzwerk an, dann Gerhard, und er wirkte wirklich
verzweifelt.
»Ein Doppelmord,
Besitzer tot, Tier tot. Weinzirl, was hab ich verbrochen, dass ich am ersten
Januar so was sehen muss? Was ist das? Voodoo? Was treibt die Irren nach
Peißenberg, an
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