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Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Titel: Weinzirl 04 - Gottesfurcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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im Barbara Hof – Bergwerkskneipen für
Bergwerksarbeiter. Für Karli, den Landwirt, war das eine eigenartige Welt, rau
und doch voller Zusammenhalt, kantige Männer machten kantige Sprüche, aber er
spürte eine helle Herzlichkeit unter den schwarz verschmierten Gesichtern.
Etwas, was er unter den Landwirten nie gespürt hatte. Die Nachbarn und Kollegen
verfolgten die Laberbauers seit jeher mit Neid und Missgunst.
    Hansl hatte sich
bereits gut eingewöhnt, mit seiner offenen zupackenden Art hatte er den
Meisterhauer gleich für sich eingenommen. Schorschi hingegen wirkte zutiefst
unglücklich, auch heute, wie er an seinem Bier nippte. Es hatte auch alles so
schlecht angefangen: Am zweiten Tag war Schorschi ein Brocken auf den Fuß
gefallen, nach zwei Wochen hatte der Meisterhauer Hansl und Schorschi
angewiesen, einen Holzstempel zu setzen. Schorschi hatte den Holzkeil gehalten,
Hansl zum Schlag ausgeholt und in dem Moment war Schorschi weggezuckt. Der
Schlag hatte seinen Kopf getroffen. Blut war aus einer Kopfwunde gequollen. Im
Krankenhaus hatten ihn die Ärzte genäht und eine Gehirnerschütterung
attestiert. Die war nun abgeklungen, und Schorschi würde morgen wieder antreten
müssen. Karli sah ihn besorgt an und versuchte einen Witz.
    »Zweimal wird dich
der Hansl schon nicht treffen. Der passt morgen sicher besser auf, was, Hansl?«
    Sie lachten, Schorschi
auch.
    »Ich hol euch morgen
ab«, sagte Karli, denn es hatte sich eingebürgert, dass die Freunde immer
unterm Guggenberg in der Nähe des Süßbauern zusammenkamen, auf der Wiese saßen,
manchmal musizierten und himmelwärts blickten, fast wie früher beim Wolkenraten.
    Am nächsten Morgen
spürte Karli eine seltsame Unruhe, und er fuhr mit seinem Fahrrad schon mittags
zum Guggenberg, immer schneller trat er in die Pedale, wie getrieben und voller
düsterer Vorahnung. Dann sah er Schorschi, er saß auf »ihrer« Wiese. Er war
zusammengekauert und wurde immer wieder vom bebenden Weinen erschüttert.
    »Schorschi?«
    Sein Freund sah hoch
und dann stieß er aus: »Ich bin kein Mann, kein Mann, überhaupt kein Mann.«
    »Schorschi?« Karli
setzte sich neben ihn.
    »Die Bergwerksleitung
hat mir gesagt, ich muss aufhören, weil ich eine Gefahr für mich und andere
bin.«
    Karli blieb einfach
nur sitzen und wartete.
    »Es war, als würden
die Wände über mir zusammenstürzen. Sie kamen auf mich zu, es wurde immer
dunkler. Mein Herz explodierte, ich war nass, wie wenn ich in die Ach gefallen
wäre. Und die Wände kamen immer näher.«
    »Das ist Platzangst.
Hast du das schon länger?«
    »Ja, aber ich
dachte, ich käme darüber weg. Ich bin eben kein richtiger Mann.«
    »Platzangst ist eine
Krankheit«, sagte Karli. »Das hat doch nichts damit zu tun, ob du ein Mann
bist.«
    Schorschi sah ihn
dankbar an. »Meinst du?«
    »Sicher.«
    »Wieso bist du denn
schon da?«, fragte Schorschi plötzlich.
    »Ich hatte so ein
Gefühl …«
    »Du bist komisch.
Hast du auch das zweite Gesicht wie die Kathl?«, fragte Schorschi.
    »Ach was, ich hatte
einfach so ein Gefühl.«
    *
    Helga
Kölbl hatte aus dem Fenster gesehen und überlegt. »Ja, Johann Draxl war ein
Optimist und hatte eine ungeheure Ausstrahlung. Er war wirklich ganz
mitreißend. Er wäre überall auf der Welt und in jedem Beruf zurechtgekommen. Es
gibt solche Menschen. Mein Mann war nicht so.«
    »Aber er hat ja das
gefunden, was ihn ausfüllt, ähm, ausgefüllt hat«, sagte Gerhard und fragte
gleich weiter: »Hat Johann Draxl nicht auch mal kurz an der Schnitzschule
gelernt und dann abgebrochen?«
    »Ja, komisch, ich
weiß gar nicht, weswegen er die Schule vor dem Abschluss beendet hat. Das Leben
rennt dahin, so viele Wege kreuzen sich, und doch ist am Ende so wenig übrig
von diesen Kreuzungspunkten. Ja, es ist merkwürdig, dass die beiden später so
wenig in Erinnerungen geschwelgt haben. Dabei hätten sie allen Grund gehabt. Es
wundert mich wirklich, wenn ich jetzt so nachdenke, denn sie waren im Dorf, als
sie etwa fünfzehn, sechzehn Jahre alt waren, eine wirkliche Instanz.«
    »Instanz?«
    »Ja, sie gehörten
dem Hauser Viergesang an.«
    »Ihr Mann und Draxl?
Zwei geben nach Adam Riese aber noch keinen Viergesang ab«, sagte Baier.
    »Ich habe
nachgedacht. Der Name Matzke. Er war beim Viergesang dabei. Er hieß Paul.
Himmel, wieso ist mir das nicht eingefallen, als ich die Kisten gesehen habe?«
    »Weil wir uns oft
nicht erinnern, wenn Personen oder Namen aus dem gewohnten Zusammenhang
gerissen werden«,

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