Weinzirl 04 - Gottesfurcht
Südländisches und auch noch so süß.
Anastasia-Kassandra hatte ihren Pulli ausgezogen, darunter kam ein enges
T-Shirt zu Tage, das ihre kleinen, aber durchaus wohlgeformten Brüste
unterstrich. Sie war hinter ihn getreten und hatte sehr sanft begonnen, seine
Schultern zu massieren. »Bisschen verspannt, Herr Kommissar!«
»Bisschen
überspannt, Frau Schamanin!«, konterte Gerhard und fand sich grandios. So
brillant war er selten. Vielleicht sollte er doch öfter tiefer in Gläser mit
mediterranen Gesöffen blicken. Das machte ihn so tiefsinnig.
Anastasia-Kassandra
stand immer noch hinter ihm, er verharrte in seiner Haltung, reckte die Arme
nach hinten und begann an ihren Armen entlangzustreichen. Ihre Haut war warm
und seidenglatt. Lange blieben sie so stehen. Dann fasste er ihre rechte Hand,
zog sie sanft über seine Schulter und küsste ihre Finger. Einen nach dem
anderen. Langsam stand er auf und drehte sich zu ihr um. Als er
Anastasia-Kassandra küsste oder besser sie ihn, waren ihrer beider Lippen
klebrig. Sie war barfuß, und ohne ihre hohen Stiefel war sie wirklich klein.
Höchstens einen Meter sechzig groß. Im Hintergrund lief noch immer Pavlov’s
Dog, und Gerhard erinnerte sich plötzlich wieder an Karin, die seine erste
große Liebe gewesen war. Nichts als Liebe. Immer nur Liebe. Tatsächlich Liebe.
Er hatte ihr den einzigen Liebesbrief geschrieben, den er je geschrieben hatte,
und er kannte die erste Zeile noch, so als ob er sie gestern geschrieben hätte.
»Ich liebe eine süße Frau, die nicht viel größer ist als ein Jagdhund …« So
hatte der Brief begonnen, und es waren drei zauberhafte Sommer zwischen
Pegasus, der »Ätna Schikane«, jenem Sehen-und-gesehen-werden-Eiscafé, und dem
idyllischen Eschacher Weiher gewesen. Anastasia-Kassandra war auch nicht größer
als ein Jagdhund, und das war gut so. Sie verweilten lange in der Küche, langsam zogen sie sich gegenseitig aus. Die Bewegungen waren sanft, vage. Dann
nahm sie ihn an der Hand und leitete ihn in ein Zimmerchen, in dem nichts stand
als ein Bett mit einem uralten Holzrahmen. Altes Holz, jahrhundertealt, kein
Designschnickschnack, auch kein Landhausstil, der etwas heraufzubeschwören
suchte, was doch nie gelang: Beständigkeit. Es war nicht wilde Ekstase, aber
ein sanftes Weggleiten, schwebend, taumelnd. Ein Schwebezustand, für nichts
verantwortlich zu sein. Zeit, die stehen blieb, gnädig stehen blieb,
wohlwollend stehen blieb. Viel später fragte Anastasia-Kassandra ihn:
»Magst du was
trinken?« Es war das erste Du.
»Wenn es kein
Ramazotti ist.«
»Ich dachte eher an
Wasser.« Sie ging langsam aus dem Zimmer. Nackt und ihrer selbst sicher.
Gerhard, der eigentlich mehr auf Frauen mit mehr Rundungen stand, sah ihr nach,
in gewisser Weise fasziniert. Sie war so schmal, so zerbrechlich, aber alles
passte wunderbar zusammen. Der kleine feste Po, die wirklich hübschen Brüste,
wie er erneut feststellte, als sie wieder hereinkam und ihm ihre Vorderseite
präsentierte.
»Ich glaube nicht,
dass du runder sein müsstest«, sagte Gerhard. Er nahm einen kräftigen Schluck
vom eiskalten Leitungswasser. »Und glatte Haare hat doch jede.« Ihre Locken
umgaben jetzt wieder ihr markantes Gesicht mit der schmalen Nase. Die Locken
machten es weicher.
»Ich glaube auch
nicht, dass du ins Fitnesscenter musst«, sagte sie und streichelte seine Brust.
»Ordentlicher Pektoralis. Außerdem finde ich die Grübchen oben an der Schulter,
wo der Muskel ansetzt, extrem erotisch.« Sie küsste ihn auf diese Stelle, indem
sie ein Bein über seine Hüfte schwang. Das wiederum fand Gerhard sehr erotisch
und vergrub seine Hände in all den Locken. Langsam sank sie über ihn. Viel
später wurde es hell. Gerhard blinzelte. Anastasia-Kassandra setzte zwei Tassen
Kaffee auf der Bettumrandung ab.
»Es wundert mich ein
bisschen, dass ich so viel Vertrauen zu dir habe. Ich bin schon ewig nicht mehr
neben einem Mann eingeschlafen, ich pflege sonst zu gehen oder den Typen zu
verscheuchen«, sagte sie.
»Danke, dass du es
nicht getan hast.« Gerhard probierte den Kaffee, der höllenschwarz und
höllenstark war.
Plötzlich stöhnte
sie auf. »Ich weiß es, ich weiß es. Man sollte nicht immer alles zerreden. Aber
die Worte entstehen einfach irgendwo in der Magengrube, da wo es zieht, und das
ist psychosomatisch, ich weiß. Aber ich muss etwas sagen, weil wir Menschen
sind, und Reden ist nun mal das Beste, was wir tun können, wenn wir unsere
Worte mit Bedacht
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