Weinzirl 04 - Gottesfurcht
wählen. Weißt du, was du tust?«
Gerhard hatte sich
aufgesetzt. Er sah sie besorgt an. Er hatte zu viel getrunken, Teile der Nacht
waren ihm entschwebt. Alles so angenehm vage, im Fluss. Was hatte er getan?
»Du hast bei Toni
gesagt: ›Darf ich das bitte zahlen?‹ Ja und, wirst du fragen. Andere sagen: ›Herr Ober, zahlen!‹ Oder auch ›Bitte zahlen!‹ Du sagst: ›Darf ich das bitte
zahlen?‹ Ich werde das in Zukunft auch sagen. Deshalb mag ich dich. Ich danke dir
für diesen Satz. Und für die Stille im Getöse der Floskeln.«
Gerhard sah sie an.
Genauer, als er sie die ganze Zeit schon angesehen hatte. Er suchte ihre Augen.
Er verstand irgendwie, was sie ihm sagen wollte. Und irgendwie auch wieder
nicht.
»Ich … ja, das sage
ich immer. Das ist doch ganz normal.«
»Ist es nicht. Es
ist menschlich und lieb.« Das klang fast trotzig.
»Du sagst das so,
als wäre es gar nicht so lieb«, sagte Gerhard zögernd.
»Ja, weil ich keinen
Mann wie dich treffen wollte. Nur solche für kurzen Sex. Solche, mit denen es
Scheiße ist. Eitle Egoisten, schöne Narzissten.«
»Die man schnell
vergessen kann?« Gerhard ahnte, auf was das hinauslaufen würde. Sie kam ihm
zuvor.
»Nein, keine Panik,
ich verliebe mich jetzt nicht in dich. Aber das alles hat mich nachdenklich
gemacht. Mir fallen altmodische Worte ein wie ›freundlich‹ und ›achtsam‹. Das
bist du. Ich rede mit einem eigentlich wildfremden Menschen so viele Stunden.«
»Du hast auch mit
ihm geschlafen.«
»Ja, aber das
bedeutet weniger. Versteh mich richtig: Das bedeutet mir natürlich etwas, aber
weniger als zum Beispiel jene kurzen Momente, wo du auf mich gewartet hast,
mich besorgt angesehen, mich gefragt hast, was ich trinken will. Das bin ich
nicht gewohnt. Danke!«
Gerhard lächelte sie
an, und er war unsicher. Mit ihm zu schlafen war weniger wert, als mit ihm zu
reden? Wo er im Zweifelsfalle seine Kompetenzen doch eher beim Sex als bei der
gepflegten Konversation sah. Er hatte die Frauen nie verstanden, aber die hier
war die erste, die ihm ansatzweise erklären konnte, wie Frauen tickten.
»Sag jetzt bloß
nicht, du rufst an!«, rief sie in seine Gedankenwirbel.
»Werde ich aber
tun.« Gerhard hatte begonnen sich anzuziehen. Er saß auf der Bettkante, als er
seine alten Stiefel zuband. Sie stand vor ihm, und auf einmal packte er sie und
warf sie aufs Bett. Küsste sie auf Mund und Nasenspitze. »Ich werde anrufen und
versuchen zu verstehen, was du mir gesagt hast. Erwarte nicht zu viel. Ach ja,
ich frag jetzt auch nicht, ob ich gut war.«
»Ging so!« Sie lachte.
Gerhard war ihr
dankbar, dass sie ihm so goldene Brücken baute und den Dreh zum lustigen
Geplänkel wiedergefunden hatte.
Als er in der Tür
stand, fragte er plötzlich: »Was bedeutet eigentlich Marakala?«
»Nichts! Hab ich
einfach erfunden für meine Kunden. Heh, das reimt sich, und was sich reimt, ist
gut.« Sie hatte ihre Locken über dem Kopf zusammengewurschtelt und sah
spitzbübisch aus. Jung, jedenfalls nicht wie fünfundvierzig!
Er fuhr langsam und
fühlte sich gut. Hatte er ein schlechtes Gewissen wegen Jo? Nein! Sollte er
eins haben? Da fiel das Nein schon schwerer. Was passierte mit ihm? In
irgendeinem Horoskop hatte mal gestanden, er würde sein Glück niemals in der
Heimat finden. Er müsse weggehen. Nun war der Wechsel von OA nach WM ja keine Weltreise, oder doch? Gerade mal einen Landkreis hatte er zwischen das
Allgäu und Oberbayern gebracht, und doch hatte er das Gefühl, dass er eine
Metamorphose durchmachte. Sein Blick von außen half ihm lockerer zu sein. Half
ihm auch, besser zu schlafen. Wollte er eigentlich hier bleiben? Und was wurde
nun aus dem Plan, es Jo schmackhaft zu machen, mitzukommen, nachzukommen? Sein
Leben zu teilen?
Hatte sie ihm eine
endgültige Absage erteilt oder er ihr? Auch mit dieser schwebend-leichten
Nacht? Er war wirklich nie der große Womanizer gewesen, zumindest nicht seit er
in einem Alter war, in dem man hormonell zurechnungsfähig ist. Die kleine
Affäre mit Evi, Jo, das war es gewesen seit mehreren Jahren. Was für ein
Frühling ritt ihn mitten in den eisigen Winternächten, dass er von der
Mittelalterfee träumte und bei einer Schamanin Ramazotti trank? Er, der
schwerblütige Allgäuer Bergbauer?
13
»Na, hatten Sie
Glück bei der Schamanin?«, fragte Baier, als Gerhard hereinkam. Und obgleich er
ja nicht wissen konnte, wie viel Glück, zuckte Gerhard unter der Frage
regelrecht zusammen.
Ȁh, ja, wie
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