Weinzirl 04 - Gottesfurcht
gegeben. Er hat ein Bild von einem komplett verderbten,
schädlichen jungen Mann gezeichnet. Dein Karl war einer der Letzten, den die
volle Härte getroffen hatte. Es war nämlich schon 1955 so, dass die Skepsis
zugenommen hat. Die Anstalten waren überfüllt, unmodern, es herrschte
Personalmangel, und es war längst klar, dass Besserung sich nicht unbedingt da
einstellt, wo man von schweren Jungs eher noch was dazulernt.«
»Warum hat er keine
Bewährung bekommen?«
»Das kann ich dir
nicht genau sagen, aber aus den Unterlagen geht hervor, dass die Familie
keinerlei Kontakt aufgenommen hat. Er war sozusagen tot. Eine Persona non
grata, gestrichen aus den Annalen der Familie.«
»Finden wir ihn
deshalb nicht? Ist er tot?«
»Nein, das ginge aus
Sterberegistern hervor. Er lebt irgendwo. Vielleicht in Kanada oder Chile.«
»Na, dann gnade uns
Gott! Aber dann findet ihn der Mörder nicht so schnell.«
»Meinst du, er ist
auch gefährdet?«
»Ja. Drei Mitglieder
von diesem Viergesang sind tot. Fehlt noch einer. Was würdest du denken?«
»Das Gleiche! Halt
mich auf dem Laufenden. Auch sonst. Äh …« Evi stockte.
Baier schaltete
sofort. »Das ist der private Teil, glaub ich, ich schalte mich ab. Meine
Verehrung, Frau Straßgütl, ich hoffe mit jedem Tag mehr darauf, Sie persönlich
kennen zu lernen.« Wieder zwinkerte er Gerhard zu.
»Was auch sonst?«,
fragte Gerhard, als Baier draußen war.
»Jo hat mich
angerufen. Sie klang nicht gut. Ich treffe sie nachher. Was ist eigentlich los
bei euch?«
Gerhard schluckte.
»Das Euch, das Uns, das Wir, das ist das Problem.«
»Nicht schon wieder!
Wie oft hattet ihr das schon? Jo ist ein trotziger Wirbelwind, und du bist ein
Allgäuer Sturschädel. Redet miteinander, ihr zwei Deppen!«, rief Evi.
Wie hätte er ihr vom
tiefen Graben des Schweigens erzählen können. Stattdessen sagte er: »Ich halte
dich auf dem Laufenden, wenn ich mit der Schwester von Karl gesprochen habe.
Servus, bella , nochmals danke.« Er legte auf und ging zu Baier hinüber,
der den Staatsanwalt zu Besuch hatte.
»Sie verfolgen also
zwei Spuren?« Er klang so, als hätte er wenig Vertrauen in Gerhard und Baier.
»Ja, sehen Sie, es
gibt zwei Arbeitshypothesen. Nummer eins: Jemand, aller Wahrscheinlichkeit nach
Hareither, hat Kölbl und Matzke ermordet. Aus Wut über den Betrug an der Zunft
und aus womöglich weiteren Gründen, die wir nicht kennen, weil wir Hareither
nicht dazu befragen konnten. Er hat sich nämlich aus dem Staub gemacht. Dagegen
spricht, dass Hareither keinen Grund hätte, Draxl im Eibenwald herumbugsiert zu
haben. Hareither ist aber – ich wiederhole mich – verschwunden. Das spricht
gegen ihn. Ob er es getan hat, wissen wir, sobald die Fingerabdrücke
ausgewertet sind. Hypothese zwei, gesetzt den Fall, Hareither ist aus dem
Schneider: Es gibt einen Zusammenhang über diesen Viergesang. Momentan ist es
wie bei den kleinen Negerlein: Da waren’s nur noch drei, zwei, eins.«
»Und das nächste
Negerlein könnte auch auf der Abschussliste stehen?« Der Staatsanwalt klang
deutlich milder, und sein Interesse war geweckt.
»Ja, drum versuchen
wir das Negerlein zu finden, die Schwester vom Negerlein sollte sozusagen
minütlich aus dem Urlaub kommen. Ich erwarte mir da ein aufschlussreiches
Gespräch. Tja, und dann müssen wir nur noch herausfinden, wer unsere
Hoagast-Lerchen von damals nicht mag«, sagte Gerhard.
»Und was kann ich
für Sie tun, Herr Weinzirl?«
»Schnell einen
Haftbefehl für Hareither unterschreiben, sofern er es war.«
»Na dann viel Spaß
bei Ihren ungelegten Eiern. Sie haben meine Telefonnummern.«
Gerhard und Baier
bedankten sich, und kaum war der Mann gegangen, kam das Ergebnis der
Fingerabdrücke. Es gab keine Übereinstimmung!
»Scheiße! Was nicht
unbedingt heißt, dass er an der Sache nicht beteiligt war! Er hat kein Alibi
für Matzke und ein schlechtes für Kölbl. Wieso ist der Kerl immer noch
verschwunden? Ich möchte unbedingt auch Abdrücke von Korntheurer und Lutz. Wer
sagt uns denn, dass dieser Lutz wirklich in Miami ist? Wer? Was, wenn die vier
uns einfach foppen? Ich traue denen das zu. Das sind wirklich alles
Schauspieler da in Ogau.« Gerhard war sauer.
»Ja, das können wir
nicht ausschließen, Weinzirl. Ich würde vorschlagen, ich tue mich in
Oberammergau um, und Sie besuchen das Schwesterlein vom vierten Mann, dem
Negerlein.«
»Ja, gut. Muss ich
etwas über Seeshaupt wissen und spezielle Befindlichkeiten dort?«,
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