Weinzirl 04 - Gottesfurcht
man’s
nimmt. Sie ist sich sicher, dass wir es mit einer aufsteigenden Serie zu tun
haben.« Gerhard gab Teile der Unterredung zum Besten. Die jugendfreien Teile.
»Na, das ist doch
was. Die Idee des Kirchenhassers gefällt mir. Da müssen wir Schongaus
Schlossberg wohl unter Bewachung stellen.« Baier lachte und hob den Hörer des
wie wild klingelnden Telefon ab.
»Oh, guten Morgen,
Werteste. Meine Verehrung. Nein, nein, erzählen Sie das Weinzirl, ich höre mit.
Meine Verehrung.« Gerhard hörte das Lachen am anderen Ende der Leitung. »Ihre
Frau Straßgütl«, sagte Baier förmlich und zwinkerte.
»Hallo, Alter! Ich
habe noch ein bisschen im Leben deiner Toten gewühlt. Da habe ich etwas
Interessantes gefunden. Sie waren der Hauser Viergesang. Sie haben zusammen
musiziert und gesungen, und sie waren wohl wirklich gut. Sie hatten in den
Jahren 55–57 einige Engagements. Haben auf diversen Hoagasts gespielt. Was ist
das eigentlich?«
»Hoagast,
allgäuerisch: Hoigaata, an Hoigaata hon. Das sind lockere Zusammenkünfte von
Musikanten. Es geht um echte Volksmusik, nicht um Volksdümmliches wie bei
Schmachtfetzen-Blondschopf Hinterseer«, dozierte Gerhard.
»Okay! Wieder was
gelernt. Die Mitglieder damals waren jedenfalls Johann Draxl, Georg Kölbl, Karl
Laberbauer und Paul Matzke. Sie sind, wie gesagt, bis 1957 oftmals aufgetreten,
dann nicht mehr.«
Wieder dieser Herbst
1957, schoss es Gerhard durch den Kopf.
»Evi, du Zaubermaus,
das wissen wir auch. Der Vorname Karl ist uns neu. Ich habe die Schwester von
diesem Karl Laberbauer kontaktiert. Sie scheint bis heute Abend im Urlaub zu
sein. Ihr Bruder ist irgendwie verschluckt. Ich bin Melderegister und
Telefonregister durchgegangen. Kein Karl Laberbauer.«
»Ging mir genauso.
Aber ich habe etwas Interessantes. Dein Karl Laberbauer wurde mit siebzehn
Jahren des Mordes angeklagt.«
»Mord?«
»Ja, er soll eine
gewisse Magda Alsbeck ermordet haben. Er soll sie vom Ettaler Manndl gestürzt
haben.«
»Du sagst immer,
soll?«, fragte Gerhard.
»Aus diesen ganzen
Vernehmungsprotokollen geht nichts hervor, was mir wirklich einleuchtet. Kennst
du das, wenn dich etwas befremdet, beunruhigt? Ich kann dir nicht wirklich
erklären, warum. Aber je länger ich in diesen Protokollen gelesen habe, desto
unwohler habe ich mich gefühlt. Das alles damals war irgendwie nicht normal.«
»Erzähl mal«, sagte
Gerhard, innerlich angespannt, denn Evis Intuitionen waren immer gut.
»Diese Magda Alsbeck
war eine junge Frau, die in Oberhausen im Mütterheim zur Kur war. Das war eine
evangelische Einrichtung, die von 1950 bis 1978 existierte. Magda Alsbeck war
mit Karl Laberbauer und dessen Vater Luis Laberbauer am Ettaler Manndl. Karl
soll sie hinuntergestürzt haben. Angeblich, weil sie ihm ein Kind angehängt
hatte, er sie aber nicht ehelichen wollte. Dass sie ein Kind erwartet hat, wird
von der Aussage einer Zeugin gestützt, die auch in diesem Heim war. Laut ihrer
Aussage war Karl Laberbauer schon im Sommer zuvor mit ihr liiert. Viele
Ungereimtheiten. Und der Hauptbeklagte hat kein einziges Wort gesagt. Bis zum
Ende. Sein einziger Satz war: ›Ja, ich war’s.‹ Nach einigen Prozesstagen
totalen Schweigens sagte er: ›Ja, ich war’s.‹ Er hatte auch keinen Anwalt. Das
ist alles so merkwürdig. Ich fax dir die Unterlagen durch.«
»Danke, bella .
Du bist einfach grandios. Und wann war das alles?«
»Im Herbst 1957«,
sagte Evi. Da war es wieder, das Datum! »Er saß dann zehn Jahre in einer
Besserungsanstalt, bis zum Sommer 1967«, fuhr Evi fort.
»Zehn Jahre? Ist das
nicht extrem lange? Gab es kein Jugendstrafrecht?« Baier war aufgestanden und
tigerte im Raum umher.
»Ich habe auch
hierzu Protokolle bekommen. Ich habe einen Freund von mir angerufen, der sich
mit Rechtsgeschichte auskennt. Die Rechtswirklichkeit in den fünfziger Jahren
ist sehr kompliziert. 1953 gab es eine Reformierung des Jugendstrafrechts, da
wurde zwar die Wiedereinführung der Aussetzung zur Bewährung verankert, aber
das Jugendstrafrecht war überhaupt nicht an den Strafrahmen normalen
Strafrechts gebunden. Die haben damals mit Täterprofilen gearbeitet. Man sprach
von Milieu-, Entwicklungs- und Neigungstätern. Es konnte also sein, dass eine
schwere sexuelle Tat als pubertäre Erscheinung einfach abgetan wurde. Es sei
denn, und das scheint bei deinem Kurt so gewesen zu sein, dass ihm schädliche
Neigungen attestiert wurden. Der Pfarrer damals hat da mit seinen Aussagen wohl
den Ausschlag
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