Weinzirl 04 - Gottesfurcht
mich wirklich
schön, begehrenswert, liebenswert findet. Und Respekt hat, vor mir, vor sich
selbst, vor dem Leben und vor Gefühlen.«
Gerhard sah sie
überrascht und ein wenig peinlich berührt an.
Sie lachte. »Nun
schauen Sie nicht so. Klar, wir kennen uns kaum. Aber wir sind schon gemeinsam
einem schwer bewaffneten Waldschrat entkommen. Das verbindet, oder? Wieso
bekommen Männer schon allein bei Gesprächen über Emotionen Panikattacken?«
»Fluchtreflex? Der
Mann ist ein Fluchttier! Und was Ihren Ritter betrifft: Träumen Sie weiter!«
»Ja, Sie
realistische Unke! Ich möchte nur mal kurz rote Rosen, Landregen von roten
Rosen. Es muss ja nicht ewig sein, nur um das Gefühl mal zu kennen. Einmal eine
Beziehung zum Zurücklehnen, einmal eine, wo ich umsorgt werde, nicht immer
kämpfen muss, um Zeit, Zuneigung, wo nicht ständig der Kleinkrieg tobt. Wo
Worte wie Kompromiss und Schadensbegrenzung nicht im Lexikon stehen. Nur kurz,
nur ganz kurz einmal wirklich verehrt werden. Verstehen Sie das als Mann nicht auch?«
»Doch! Aber Frauen
wie Sie vermitteln Männern nicht, dass sie verehrt werden wollen. Im
Rote-Rosen-Regen stehen. Sie sind zu taff, zu selbstbestimmt. Ja, das macht uns
Angst! Meine, äh, Partnerin ist auch so.«
»Hilfe!« Sie wurde
so laut, dass sich das halbe Lokal umdrehte. Dann beugte sie sich dicht zu ihm
hinüber. »Sind Sie auch so einer, der von Partnerin spricht oder
Lebensabschnittsgefährtin? Warum sagen Sie nicht meine Freundin oder nennen
ihren Namen. Hat sie einen?«
»Ja, Jo, Johanna.«
»Merken Sie was? Das
sind diese Pseudo-Unverbindlichkeiten. Und dann schieben Sie es auf die
Damenwelt, die wäre zu taff.«
»Bitte keine
Analysen meiner Psyche«, sagte Gerhard.
»Falls Sie eine
haben«, unterbrach ihn sein Gegenüber.
»Okay, Sie haben das
letzte Wort. Und Sie sind taff, zu taff für Beschützerinstinkte.«
»Mein ewiges Karma!
Nun gut, bleibt mir die Flucht in den Alkohol.« Sie kippte eine Medizin weg,
dann gleich noch die von Gerhard. »Sie brauchen Ihre nicht. Sie müssen ja
fahren!«
Gerhard grinste.
»Verstehen Sie, was ich meine. Angst, Panik, Flucht!«
»Natürlich! Und
passen Sie nur auf, Sie Fluchtspezialist. Sie sind Frischfleisch hier. Sie
sehen ganz ordentlich aus, sind ein netter Kerl und neu. Und in einem guten
Alter. Die Frauen werden reihenweise schwach werden.«
»Also bisher kann
ich mich noch an keine Attacke irgendeiner Frau erinnern.«
»Das kommt noch,
außerdem, vielleicht habe ich ein Auge auf Sie geworfen.«
Augenscheinlich
flirtete sie mit ihm, so wie sie das vorher in ihrer Küche auch schon getan hatte,
und eigentlich fand Gerhard das durchaus reizvoll und schmeichelhaft.
Anastasia-Kassandra
trank mit Toni noch zwei weitere Medizin, und Gerhard fragte sich, wie eine so
zierliche Frau so viel vertragen konnte. Ihm stiegen das Viertel Retsina und
ein Ouzo schon ins Hirn. Dieses mediterrane Gesöff-Zeugsel, sein Körper, sein
Geist und seine Seele waren nun mal auf Weißbier geeicht. Bevor ihn Harz und
Anis nun völlig vernebelten, rief er zum Aufbruch.
Diesmal fuhren sie
die reguläre Strecke. Gerhard hatte eine Kassette eingelegt, einen CD -Player hatte sein Bus nun mal nicht,
als Anastasia-Kassandra plötzlich entzückt ausrief:
»Das ist Julia !
Herr Weinzirl, Sie werden mir immer sympathischer. Pavlov’s Dog, ich liebe
Pavlov’s Dog. Aber das kennt ja keiner.«
»Ich schon, die
ganze Kassette nur Pavlov. Beide LP s.«
»Herrlich,
großartig! Ich finde ja die zweite ›At the sound of the bell‹ fast noch besser
als ›Pampered Menial‹: ›Well I lost all I was, and it’s more than I’ve tried
to be‹ . Megan’s Song. Grandios, oder? Ein Satz besser als alle Gedichte,
die ich kenne.«
»Ja, Musik, echte
Musik. ›Bring back the good old days, bring back the good old days‹ «,
summte Gerhard, und plötzlich war das Leben so zauberhaft leicht. Eine Frau,
die Pavlov kannte, ja mochte. Und selbst Plinius hatte die dünnen Öhrchen
gespitzt und schien das hohe Gekreische von David Surkamp in »Late November« zu goutieren.
»Er hört nicht mehr
so gut!«, sagte Anastasia-Kassandra lachend.
»Na, Sie entzaubern
mir aber auch jede Illusion. Nun dachte ich kurz, ich hätte einen Hund mit
meiner Musik betört.«
»Reicht es nicht,
mich zu betören?« Ihr Tonfall hatte sich verändert. Und in dem Moment wusste
Gerhard, dass er der Einladung zum Kaffee folgen würde. Es war kein Kaffee, es
war Ramazotti, schon wieder so was
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