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Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Titel: Weinzirl 04 - Gottesfurcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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fragte
Gerhard, der Baiers treffliche Analysen schätzen gelernt hatte.
    »Seeshaupt? Auch ein
Kuriosum. Im Landkreis sind das die Schickis, die feinen Leute am See. Für den
restlichen Starnberger See hingegen, also nehmen Sie Feldafing oder Pöcking,
sind das die Bauern am See-Ende.«
    »Und was davon
stimmt?«
    »Alles eine Frage
der Position, der Blickrichtung. Seeshaupt ist natürlich eher urban, es hat
bloß noch zwei Bauern im Ortskern, der dritte ist ein Hotel Garni geworden. Der
Typ ist ein Unikum, überall an allen Stammtischen zugegen, und sei es im
Tennisverein. Wundert mich, dass der mit seinem lila gefärbten Blutdruckschädel
nicht längst aus den Pantoffeln gekippt ist. Oder besser: Er war mal auf Reha,
die er wegen eines Festes in Seeshaupt abbrechen wollte. Seine vier Frauen,
also Ehefrau und drei Töchter, haben sich geweigert, ihn abzuholen. Er kam
natürlich dennoch, und zurück ist er, glaub ich, mit dem Bulldog gefahren. Wenn
Sie den treffen, dann erfahren Sie alles.«
    »Und wo treff ich
den?«
    »Tja, das Café Hirn
ist ja nun so ‘ne Weinbar. Der Stammtisch von damals, der immer in der Küche
getagt hat, ist Geschichte. Die Bedienung von damals ist noch da. Die anderen
sitzen jetzt bei Christel privat in der Küche. Sprechen Sie die Albrechts drauf
an, die kennen das alles sicher besser.«
    »Gut, danke für die
Kurzeinweisung.« Gerhard war sich dessen bewusst, dass solche Insider-Infos
eben nur vom guten Zuhören und feinen Beobachten kamen. Baier war ein
sensationeller Beobachter, man konnte viel von ihm lernen. »Also ich bin dann
weg. Viel Glück in Ogau und Gruß an die Frau Hareither.« Das hatte sich Gerhard
jetzt nicht verkneifen können.
    »Vorsicht, Weinzirl.
Sie kennen das mit dem Glashaus. Wer im Glashaus sitzt, sollte im Keller
scheißen. Ihre Freundin, diese reizende Evi, die Schamanin, die Tochter Ihrer
Vermieter soll eine Schönheit sein. Weinzirl, die Frauen trüben unseren
Verstand. Also achten Sie besser auf Ihren. Habe die Ehre.« Er lachte.

14
    Als Gerhard kurz
darauf die Nummer in Seeshaupt wählte, war eine angenehme ältere Frauenstimme
zu hören. »Albrecht.«
    Gerhard stellte sich
vor und hielt sich nicht lange auf. »Ich muss mit Ihnen über Ihren Bruder
reden. Und den Hauser Viergesang. Ich bin in einer Stunde da.« Er schickte noch
ein »Geht das?« hinterher.
    »Wir wohnen in der
Schechener Straße«, sagte sie. »Woher kommen Sie?«
    »Von Weilheim.«
    »Dann fahren Sie
einfach nach Seeshaupt rein, immer geradeaus, am See entlang, und kurz nach dem
Seerestaurant Lido geht es rechts weg. Vor der Kurve kommt das Haus.« Sie
nannte ihm die Hausnummer.
    Sie hatte ihm zwar
keine Antwort auf das »Geht das?« gegeben, aber die Ortsbeschreibung schien
eine Zustimmung zu sein. Als Gerhard losfuhr, war es 15 Uhr 30 und auch schon
dämmrig. Er fuhr schnell und unkonzentriert. Hinter Marnbach zog es ihm in der lang gestreckten Kurve die Reifen weg. Überfrierende Nässe. Sein Auto war
wirklich keines für wilde Verfolgungsjagden, dachte Gerhard. Aber solche Jagden
gab es eh nur in amerikanischen Filmen.
    Er gab weniger Gas
und durchfuhr Waldpassagen, in denen es schon richtig dunkel war. Als er durch
Magnetried fuhr, hielt er sich an die Fünfzig innerorts und ließ den Blick
schweifen. Ein schmuckes gelbes Haus am Ortseingang, eine Wirtschaft am Ende,
einfache Höfe und Häuser. Die Wirtschaft gefiel ihm. Auch in Deutenhausen hatte
es schon eine gegeben, die ihm angenehm aufgefallen war. Einfach und ein
bisschen verhaut und derdengelt. Zweierlei registrierte er: Er begann bayerisch
zu denken und die Gegend wegen ihrer Wirtschaften zu mögen. So wie er das
Oberwang früher geliebt hatte. Nichts von jenen Bayernklischees, die in seinem
Allgäuer Hirn so fest eingemeißelt waren, erfüllte sich. Keine ausladenden
Balkone, nichts von üppiger Lüftelei. Nein, das hier war nicht der schicke
Tegernsee.
    Als er Seeshaupt
erreicht hatte, spürte er aber, dass das hier zwar nicht der Tegernsee, aber
doch ganz anders als Weilheim oder Peißenberg war. Auch am Starnberger See war
eine ungewohnte Noblesse zu spüren. Eine schicke Pizzeria, eine Seeresidenz und
jene Villen, die sich hinter Hecken erstreckten und direkt ans Ufer schmiegten,
unbezahlbare Lagen, die ihre Bewohner adelten und selbstbewusster machten als
solche, die in Weilheim im Paradeis wohnten. Er sah auf die Uhr. Es war noch
Zeit, und er beschloss, in der Weinbar einzukehren. Die Bedienung war eher
rustikal,

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