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Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Titel: Weinzirl 04 - Gottesfurcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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bitterarme
Mutter, zu helfen. Außerdem hab ich den Hansl damals ganz gerne gesehen.«
    Sie schaute ihren
Mann verunsichert an.
    »Passt scho! Der
Johann ist, war ein wunderbarer Mensch. Ich habe ihn sehr geschätzt«, sagte
der.
    Sie lächelte
dankbar, und wieder schien das Wehmut zu sein. Es war nur eine leise Ahnung,
die Gerhard beschlich. Eine Ahnung davon, was in diesen beiden Jahren ‘56 und
‘57 über das enge Dorf gekommen war. Er ahnte etwas von der Lava, die unter der
Oberfläche von Wohlanstand gebrodelt haben musste. Auch die Anna von damals war
wohl kein Kind von Traurigkeit gewesen. Wenn sie 1956 Hansl »gerne gesehen«
hatte, war der gerade mal sechzehn gewesen und sie zwanzig. Was für eine
Mesalliance, der arme Fuizbua und die reiche Bauerstochter.
    *
    Fuizbuam
Sommer 1956
    »Diesmal sind ganz
Junge dabei!« Schorschi flüsterte fast. Karli musste lachen. Der Schorschi war
und blieb ein Weichei.
    »Wer sagt’s?«,
fragte er.
    »Beim Krenn haben
sie es erzählt und beim Berger Wirt.«
    »Wer?«
    »Der alte Lehner,
dem die Gummistiefel fast bis zum Bauchnabel reichen, der, wo die Koffer mit der
Schubkarre abholt, der hat’s erzählt. Und der Schmid, der war am Kreiseln. Der
hat seine Wiese gleich vier Mal gekreiselt, weil er schauen wollt. Und an der
Tonerl Hütte habens gleich mal geschnapselt. Ganz Junge sind’s. Zwei sind erst
neunzehn, und die anderen sind alle jung. Ganz jung, höchstens fünfundzwanzig,
redet man. Die eine hat einen Haarschnitt wie ein Mann, der aussieht, als wär
sie in einen Sturm gekommen. Jawohl, das haben sie erzählt, und eine andere hat lange dunkle Haar bis zum Arsch.«
    Hansl lachte.
»Arsch! Das sagt man aber nicht.«
    »So haben die alle
gesagt. Und dass die alle ziemlich gut aussehen. Nicht bloß die mit den Haaren
bis zum A… – Po.« Schorschi riss die Augen auf. Allein diesen Teil der
weiblichen Anatomie anzusprechen, kam ihm ungeheuerlich vor.
    »Dann schau mer halt
mal selbst, oder, Schorschi? Karli, Pauli? Heut Nachmittag?«, fragte Hansl.
    Zustimmendes Nicken.
Erwartungsvolle Augen. Schauen bedeutete schleichen, robben, kriechen. Sie
trafen sich am Bahnhof, rannten über die Straße, am Anzinger vorbei in den
Wald. Sie pirschten sich durch das Dickicht, versuchten, nicht auf kleine
Ästchen zu treten. Die Fahne bei der Tonerl Hütte war gehisst. Der warme
Sommerwind säuselte leise in der markanten Buche. Die Hütte war geschlossen. Nun
hieß es robben. Langsam und stetig. Schließlich lagen sie bäuchlings auf der
Erde, leicht erhöht auf einem Tuffvorkommen, Tuff, der Reichtum Huglfings. Die
Hauser Burschen robbten auf Huglfinger Flur und blickten geradewegs in den
Himmel auf Erden. Der Blick auf das Schwimmbad des Mütterheims war fast
überirdisch, besser, als jedes Kino es je hätte sein können. Da lagen sie in
Liegestühlen, sie dösten, sie trugen Badeanzüge. Nackte Haut, weiß wie Schnee,
Haare, die glänzten im Sonnenlicht. Sie schliefen, dösten, plauderten. Eine
löste sich aus ihrem Stuhl. Es war die Frau mit dem kurzen Haar. Sie zupfte am
Träger des Badeanzugs. Ihre Brüste hüpften dabei. Quälend langsam erhob sie
sich. Dann zog sie den bunten Stoff auch an den Hinterbacken zurecht. Sie war
eher mager zu nennen, aber sie war den Jungen doch eine Göttin. Dann streckte
sie sich wie eine Katze, pure Provokation, wenn sie gewusst hätte, dass sie
beobachtet wurde. Oder wusste sie es? Die, die schon mal da gewesen waren,
wussten es. Bayern, für junge Frauen aus deutschen Großstädten ein gelobtes
Land. Ihre Mütter waren nach ‘45 Trümmerfrauen gewesen, sie selbst – vielleicht
zehnjährig oder zwölfjährig – hatten wenig Zeit zum Spielen. Mädchen hatten zu
helfen, zu funktionieren, zu reagieren, nicht zu agieren. Zehn Jahre später
hatten sie schon selbst Kinder, von Amis und Franzosen, und waren müde. Müde, lange vor der Zeit. Und dann Huglfing. Mitten in Wiesen, mitten in Wäldern, wo
die Luft nicht nach Kohle roch, sondern eine war, die man schmecken und riechen
konnte. Wo man durchatmen konnte, aber irgendwann – bald zumeist – wurde zu
viel Klarheit zu Last und Langeweile. Vage Spielchen mit hohen Einsätzen wurden
gespielt. Spiele, deren Ausgang ungewiss war. Spannung war gefragt, sie hatten
etwas nachzuholen. Das alles erkannte Karli Jahre später, in jenen Jahren, in
denen er viel Zeit hatte zum Nachdenken.
    In jenem heißen
Sommer gab es Männer zuhauf. Die staunten und denen der Kamm schwoll, die
herumgockelten und

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