Weinzirl 04 - Gottesfurcht
balzten und durchaus Erfolge zu verzeichnen hatten. Karli
wusste es genau: Die Frauen gingen den Fußweg nach Berg hinauf zum Wirt, und
dort wurde gebechert. Auf dem Rückweg fand sich ein Stadel, der großzügig und
verschwiegen seine Pforte öffnete und sein Heubett zur Verfügung stellte. Er hatte
es selbst gesehen, weil er hinterhergeschlichen war und durch die Tür gespäht
hatte. Damals war er elf gewesen und hatte das rote Hinterteil eines Mannes,
das über einer heruntergerutschten Krachledernen sich hektisch auf und ab
bewegte, als lustig empfunden. Die Frau unter ihm war kaum zu sehen. Sie hatte
spitze Schreie ausgestoßen, bis er ihr die Hand auf den Mund gelegt hatte. Er
hatte das nicht verstanden. Heute war er sechzehn und verstand besser.
Lange lagen sie so,
bis eine Glocke die Damen zum Essen rief. Ein Glückstag, weil sie alle
aufstanden und die Leiber reckten. Da war das Mädchen mit den langen Haaren.
Sie nahm die endlosen Flechten und drehte einen Knoten daraus. Sie blickte in
die Richtung der Jungen. Ihr Gesicht war fein geschnitten, sie sah jünger aus
als Anna, die große Schwester von Karli. Sie war um so vieles zarter. Sie war
schön. Es war das erste Mal, dass Karli spürte, was absolute weibliche
Schönheit auslösen konnte. Ehrfurcht, die auch – und dann die Tatsache, dass
das Liegen auf dem Bauch sehr unbequem wurde, drückend!
Als sie wieder beim
Anzinger waren, seufzte Schorschi tief aus allertiefstem Seelengrund.
»Was ist los?« Hansl
lachte.
»Ich würde so gerne
mit so einem Mädchen einmal, einmal reden.« Schorschi flüsterte fast.
»Kannst du doch!«
»Ich? Nie.«
Da baute sich Hansl
vor ihm auf. »Wir sind Musiker. Frauen lieben Musiker, und morgen spuin wir
beim Wirt auf, und die Frauen werden da sein.«
»Wir sind sechzehn
Jahre alt. So ein Mädchen redet nicht mit Sechzehnjährigen.« Schorschi
flüsterte immer noch.
»Wir sind Musiker.
Damit alterslos. Außerdem sagen wir nicht, wie alt wir sind«, sagte Hansl
altklug.
Pauli lächelte ihn
gutmütig an. »Det glob icke nich.«
Hansl lachte
lauthals. »Jetzt bist du schon so lange bei uns und kannst immer noch kein
Bayerisch. Das kannst du schon glauben, Musiker haben einen Schlag bei Frauen.
Wir sind der Hauser Viergesang.«
»Und die
Bruderschaft der sprechenden Tiere«, rief Karli kämpferisch.
Sie musizierten am
Abend. Die vier. Schorschi schaute stets irgendwohin, um bloß nicht einen Blick
der Frauen zu kreuzen. Pauli wirkte fast grantig vor lauter Anspannung. Hansl
hatte sein Pfiffikus-Lächeln aufgesetzt. Karli suchte mit seinen Augen die
dunkle Schönheit. Und dann lächelte sie ihm zu. Jetzt hätte er Tenor sein
wollen, himmelhoch jauchzend jubilieren. Er war der Bass, aber auch das war gut
so. Sie hatte gelächelt. Der Vater trat ein und mit ihm zwei andere Berger
Bauern. Im Sonntagsstaat waren sie gekommen, der Vater sah erhitzt aus.
Großspurig ließ er Bier kommen und hielt die ganze Wirtschaft frei. Man mochte
ihn nicht, den Laberbauern, aber sein Bier tranken sie gern. Es waren acht
Frauen aus dem Mütterheim da, und auch die wurden zum Bier genötigt. Plötzlich
setzte sich die Frau mit den kurzen Haaren zu Karli und legte ihm den Arm um
die Schulter. »Ihr singt so schön. Könnt ihr das Kufsteinlied?« Sie lachte und
lachte, und Karli war zum Eisblock erstarrt.
Hansl rettete ihn,
Hansl, der kühne Spruchbeutel, sagte allen Ernstes: »Können wir, aber nur, wenn
die Damen sich zu uns setzen.«
»Natürlich!« Sie
winkte den anderen, und acht junge Frauen gruppierten sich um den Viergesang.
Die dunkle Schöne kam neben Karli zu sitzen. Nun war er eingerahmt von zwei
Mädchen, dem blonden Strubbelkopf und seiner Göttin. Durch ihr dünnes
Sommerkleid war die Wärme ihres Oberschenkels zu spüren. Der Eisblock schmolz
und wurde zum glühenden Feuerball. Dann sang sie mit in einer glockenhellen
Stimme. Karli war schlagartig erwachsen. Er liebte.
Später in diesem
Sommer wurden sie von der Heimleiterin ganz offiziell ins Mütterheim
eingeladen, um dort zu singen. Mittags, zu einer Sonntagsmatinee. Karli wusste
nicht, was eine Matinee war, aber sie brachte ihn näher an seine Göttin. Sie
sangen und tranken Schnaps an der Tonerl Hütte. Das Leben war leicht. Karli
hatte von der Göttin erfahren, dass sie Magda hieß und aus Gelsenkirchen
stammte. Sie erzählte von einer fremden Welt. Vom Bergbau, von Stahlkochern. In
Peißenberg gab es Bergbau, Hansl und Schorschi arbeiteten dort, aber das, was
sie
Weitere Kostenlose Bücher