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Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Titel: Weinzirl 04 - Gottesfurcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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Hausmeister des Mütterheims
zu sehen, neben ihm Karl Laberbauer. Das war er also. Er sah älter aus als
sechzehn Jahre, er war groß und muskulös und das, was man einen hübschen
Burschen nannte. Er schaute auf dem Foto sehr grimmig. Neben ihm, das hätte
Gerhard auch ohne Erklärung erkannt, war Johann Draxl auf das gelbliche Papier
gebannt. Er hatte helle Haare und lustige Augen. Er machte Hasenohren über dem
Kopf eines Mädchens, das vor ihm stand. Anna Albrecht, damals Laberbauer. Sie
trug auf dem Bild ein Dirndl, sie hatte sicher nicht den Arsch eines
Brauereirosses, im Gegenteil: Sie hatte eine sehr schöne frauliche Figur. Sie
trug Zöpfe zu einem Krönchen gedreht. Aber Gerhard verstand, was sie gemeint
hatte. Denn neben ihr, direkt vor ihrem Bruder, stand ein Wesen. Dünn,
zerbrechlich, gleichsam nicht aus Fleisch und Blut. Es war augenscheinlich, wer
das war. Und auch heute, fünfzig Jahre später, fühlte Gerhard diesen Stich: Das
war die absolute Schönheit. Auf dem Foto war noch die Heimleiterin zu sehen,
einige andere junge Frauen und eine, die sich vor den Füßen aller räkelte: die
mit den kurzen Haaren. Auch sie ungewöhnlich dünn mit ihrer Wespentaille – und
ungewöhnlich anziehend. Er verstand Anna Albrecht. Sie wirkte in diesem Kreis
einfach zu gesund. Nicht mystisch, verführerisch, gefährlich. Nein, sie war
wunderhübsch und gesund. Dorfhübsch und bauerngesund.
    »Sie war wirklich
sehr schön«, sagte Gerhard und betrachtete das Foto weiter wie gebannt.
    *
    Fuizbuam
Sommer 1957
    Karli saß auf dem
neuen Schlüter-Bulldog, ein viel besserer als der, den sie in Achberg hatten.
Ein besserer, als sie im ganzen Landkreis hatten, hatte sein Vater geprahlt.
Gestern war es gewesen, als sie beim Berger Wirt gesessen waren. Zusammen mit
den anderen Berger Bauern. Sein Vater nötigte ihn in letzter Zeit dazu
mitzukommen. »Ich geh in den Austrag«, hatte er gegrölt, »und der Karli macht
weiter.« »Austrag, haha, den Weiberröcken stellt er nach. Dei Voder ist a
rechter Weiberer«, war es vom Nachbarn gekommen. »Und morgen kommen sie wieder,
Laberbauer.« Sein Vater klopfte sich auf den Bauch. »Und das ist der Kompressor
für den Hammer. Die sollen nur kommen.« Karli hasste dieses Gehabe. Dieses
dreckige Lachen. Sein Vater war uralt. Er war zweiundvierzig. In so einem Alter
sollte man keine solchen Reden führen.
    Aber gleichzeitig
hatte er verstanden, wer mit »sie« gemeint war. Die Mütter! Und die Göttin
würde dabei sein, sie hatte geschrieben. Und nun saß er auf dem Bulldog und
verrenkte sich den Kragen, weil er ständig auf die Bahnlinie schauen musste. Er
hörte den Zug, natürlich konnte er aus dieser Entfernung nichts sehen, aber er
fühlte die Anwesenheit der Göttin. Es blieb beim Fühlen, weil sie mitten in der
Heuernte waren und einführen mussten. Wie fast jedes Jahr war der zweite
Schnitt ein Lotteriespiel. Die stabile Wetterlage wollte sich nicht einstellen,
sie mussten schnell sein zwischen den Gewitterfronten, die heranrollten wie die
Wogen des Meeres. Bevor sie den letzten Wagen drinhatten, begann es zu regnen.
Das Grollen war aus der Ferne zu hören. Vom Hohen Peißenberg her kam es näher.
Dann schlug es ganz in der Nähe ein, Blitze durchzuckten den Himmel. Der Vater
gab hektisch Befehle, er brüllte und schrie. Die Knechte und Mägde wirbelten
nur so durcheinander. Lotte und Zilly, die beiden Süddeutschen Kaltblutdamen,
die sonst von stoischem Gemüt waren, wurden angesteckt von der Stimmung, die
geladen war von einer bösen, gewalttätigen Energie. Karli hatte zu tun, die
beiden Pferde am Durchgehen zu hindern. Dann hatten sie das Heu unter Dach.
Karli spannte aus. Der Vater brummte so was wie »danke« und verzog sich ins
Wirtshaus. Sagte er. Damit war Karli seinem strengen Auge entkommen und konnte
sich davonstehlen.
    Nach dem Gewitter
war der Wind aufgekommen und mit ihm eine empfindliche Abkühlung. Es war kalt,
aber Karli glühte. Es dämmerte, und Karli hatte keine Ahnung, wie er sie
treffen sollte. Er nahm den bekannten Weg am Anzinger und der Turnhalle vorbei,
vorbei an der Tonerl Hütte, und drückte sich dann am Waldrand herum. Das Haus
war hell erleuchtet. Leise Musik drang an sein Ohr, jemand spielte Klavier, er
hörte Gesang. Fieberhaft suchte Karli nach einem Vorwand, der ihn nach drinnen
ins gelobte Land bringen würde. Aber er hatte keine Nachricht zu überbringen,
wie sollte er da reinkommen? Wie er so dastand, öffnete sich die Haustür.
Jemand

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