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Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Titel: Weinzirl 04 - Gottesfurcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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St.-Lorenz-Basilika, aber alles in allem waren Allgäuer Dorfkirchen eher
bescheiden. Hier im Pfaffenwinkel prunkte und protzte der Katholizismus. Wessobrunn,
Polling, Ettal, Wessobrunner Stuck, Matthäus Günther, all diese Männer, die
sich auf Gott berufen hatten in ihrem Schaffen. Er, der ihnen diese Gabe in die
Wiege gelegt hatte, er war zu preisen mit Bauwerken und Gemälden. Er dachte an
Hareither, auch der war überzeugt, ohne Gottes Hilfe nicht schnitzen zu können.
Es waren vage Gefühle, die Gerhard heimsuchten, er blickte Anastasia-Kassandra
fragend an.
    »Irgendetwas ist
nicht richtig an einer Turnhalle, die eine Kirche sein will. Mir scheint das unwürdig,
unheilig. Ich bin nicht gläubig, aber ich bin doch als Katholikin sozialisiert.
Es ist eingebrannt in meinem Denken und meinem Herzen. In deinem auch?«
    Gerhard hatte nie
darüber nachgedacht. Bisher. Aber sie hatte Recht. Auch er war ein Kind des ländlichen
Lebens, das ohne Kirche nicht denkbar war. Anastasia-Kassandra hatte Recht. Die
Turnhallen-Kirche war unwürdig.
    Sie gingen weiter
durch den Schnee. Ein Schild warnte sie vor Bienen. Nun, an diesem Wintertag
würden sie wohl schlafen. Wieder so eine jähe Frage: Wie verbrachten Bienen den
Winter? Winterschlaf? Starre? Als er aus dem Wald trat, lag das gelbe Haus vor
ihm. Er hatte eine alte Postkarte gesehen. Damals war es dreistöckig gewesen,
heute war es kleiner. Er hatte recherchiert übers Mütterheim, das heute
vermietet war. Der Besitzer hatte irgendwann einmal, genervt vom Terror der
Transistorradios, den Vertrag mit den Verantwortlichen gekündigt. Der ehemalige
Swimmingpool war mit Abraum zugeschüttet worden. Das Haus war einfach nur noch
ein Haus in idyllischer Lage. Es war durch einige Hände gegangen, hatte neue
Bestimmungen erlebt. Nun war es in Obhut des Bienenzüchters. Gerhard horchte in
sich hinein. Seine Gedanken hatten von Obhut gesprochen. Obhut für ein Haus? Er
blickte seine Begleiterin an, die seine Gefühle teilte. Es sah es ihr an. Das
war nicht einfach ein Haus, das, was hier ganz unmittelbar auf ihn einströmte,
war eine Ahnung vom Genius Loci.
    Anastasia-Kassandra
war stehen geblieben. »Ich höre außerhalb des parkähnlichen Grundstücks die
Autos fahren, aber die haben hier keine Bedeutung. Es ist ein ungewöhnliches
Haus, es redet, es plaudert, der ganze Garten spricht. Es ist ein Zaubergarten,
die Welt ist draußen.« Sie hielt inne. »Im ersten Moment dachte ich, es müsse
ein Traum sein, hier zu wohnen. Aber es erzählt auch von dunklen Stunden,
dieses Haus. Man muss sehr stark sein, um hier zu wohnen, oder gar nicht
empfänglich für Schwingungen. Es ist ein ungewöhnlicher Platz.«
    Gerhard spürte
dasselbe, vage, fließend, als wäre Anastasia-Kassandra sein Sprachrohr. Er
hätte es nur nie in Worte fassen können. Er nickte ihr zu. Er wusste, dass die
Bewohner im Urlaub waren, und das war gut so. Er wollte nicht reden. Sie
umrundeten das Haus, sie entdeckten einen betonierten Eingang in dem Berghang.
Eine Kammer lag dahinter, die groß genug war für einen Rasenmäher. Gerhard war
sich sicher, dass dahinter ein weit größerer Bunker lag, so vieles lag hier
verborgen.
    »Wenn du hier in den
fünfziger Jahren zur Erholung hergekommen wärst, eine junge Mutter aus einer
namenlosen deutschen Großstadt, was hättest du gedacht?«
    Anastasia-Kassandra
überlegte. »Dass ich im Paradies bin? Dort wo die Realität draußen bleibt, wo
alles schwebt und nicht mehr zählt, was belastet und bleiern erdwärts zählt.
Ein Zauberberg?«
    Wieder war das Wort
»Zauberberg« gefallen, das auch Hias Albrecht verwendet hatte. Die Straße war
so nahe und doch so weit weg. Heute war 2005, und die Magie wirkte noch immer.
Wie stark musste sie erst 1957 gewesen sein? In diesem verdammten Jahr 1957.
Was hatte das Haus gesehen? Sie schlenderten über den Fahrweg, als
Anastasia-Kassandra plötzlich innehielt. Sie beobachtete Plinius, der die Ohren
ganz eng an den Kopf geklappt hatte und winselte. Sie selbst stand ganz still,
wie ein Tier, das Witterung aufnimmt. Dann kniete sie sich vor einem Hügelchen,
einer fast unmerklichen Erhebung in der Wiese, nieder.
    »Das ist ein
Hügelgrab. Plinius weiß das auch. Wusstest du das? Hast du mich deshalb
mitgenommen?«
    »Jemand hat mir
davon erzählt. Ich konnte das nicht einordnen. Aber das ist nicht der einzige
Grund. Ich habe dich mitgenommen, weil ich meinen Gefühlen nicht traue.«
    »Meinen schon?«,
fragte sie und schüttelte die

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