Weinzirl 04 - Gottesfurcht
wie sie waren,
mehr Dunkelheit als Licht verbreiteten. Er starrte auf seine Scheibe, wo sich
nasser Schnee sammelte. Lange saß er so. Dann wählte er Evis Nummer. »Evi, amore ,
ich hab noch etwas für dich: Pfarrer Egon Weiß, von 1948–1967 Pfarrer in
Oberhausen. ‘67 hat er den Dienst in Oberhausen quittiert. Kannst du
feststellen, wo er danach hingegangen ist?«
»Ja, das kann ja
nicht so schwer sein. Der katholischen Kirche geht doch keiner durch die
Lappen! Er muss ja eine neue Gemeinde bekommen haben.«
»Das ist das
Problem. Er wurde suspendiert. Er hat heimlich geheiratet, so wie ich das
verstanden habe, war das vor seiner Zeit in Oberhausen, aber natürlich für die
Kirche untragbar. Die werden ihm keine Träne nachgeweint haben.«
»Oh, das ist ja mal
eine spezielle Konstellation. Ich schau aber trotzdem, was ich machen kann.«
Gerhard bedankte
sich und fuhr weiter, bis er auf eine Hauptstraße traf. Er hatte keine Ahnung,
wo er war, als er nach links abbog. Erst eine Autobahnauffahrt brachte ihm die
Orientierung wieder. Und obwohl er Autobahnen hasste, war sie wie ein
Leitstrahl in der Dunkelheit. Eine Ausfahrt später verließ er die Autobahn
wieder und erreichte schließlich Peißenberg. Bei Toni war fast nichts los, und
das war gut. Er wollte nicht reden. Es war nach sieben, als er sein erstes
Weißbier trank. Es war halb acht beim zweiten, um acht rief er Baier an und
erstattete Bericht. Baier war besonnen wie immer und schickte Gerhard ins Bett.
Aber der furchtbare
Verdacht, der ihn beschlichen hatte, ließ ihn nicht los. Er war um fünf in der
Frühe im Büro und tat etwas, was er hasste. Er begab sich in die Wirrnis des
Webs, hinein in die Datenstränge und Verzweigungen, wo die Informationen einer
ganzen Weltkugel dahinrasten. Man musste sie nur erhaschen. Um sieben rief er
Evi an, ohne ihre Hilfe wäre er auch diesmal nicht ausgekommen.
»Evi, bella ,
du kluges Geschöpf! Hast du den Pfarrer gefunden?«
»Nein, und wie du
sagst, ausgelöscht aus den Annalen der Kirche. Das Problem ist, dass die Frau,
die er ‘46 geheiratet hat, ‘47 gestorben ist. Sie hatte also auch keinen Grund,
ihren wieder in die Arme der Kirche zurückgekehrten Ehemann zu suchen.«
»Evi, glaub jetzt
nicht, dass ich spinne. Aber ich denke, dass der Pfarrer von Karl Laberbauer
ermordet wurde. So wie er seinen Vater ermordet hat, indem er ihn ins Silo
gestoßen hat. Rache für ein verlorenes Leben, Rache für den Verlust der Heimat,
der inneren und der äußeren. Ich kann ihn sogar verstehen. Ich bin mir sicher,
dass er den Pfarrer ermordet hat. Wir müssen alle unidentifizierten Toten
checken, die ungefähr 1967 ums Leben gekommen sind. Die Fundstelle kann nicht
allzu weit von Oberhausen entfernt sein, ungefähr in der Reichweite einer
Isetta. Wir müssen den Verbleib dieser Isetta klären. Am schönsten wäre es,
wenn wir eine Wasserleiche in einer Isetta fänden. Verflucht, wenn das nur
nicht so lange zurückläge!« Gerhard fühlte wieder einen kalten Kloß in seinem
Magen, obwohl er nichts gegessen hatte. Der Kloß war eiskalt und wurde größer
und begann in Richtung Speiseröhre aufzusteigen. So kalt!
Er hatte Baier gar
nicht gehört, der in der Tür lehnte. »Ist das Ihr Ernst, Weinzirl? Ihr voller?«
»Todernst«, sagte
Gerhard düster.
Es war Evi, die
gegen Mittag anrief und fast schon in gewohnter »Runde« über Lautsprecher ihre
Ergebnisse mitteilte. »Keine nicht identifizierte männliche Leiche, die auch
nur ansatzweise euer Pfarrer sein könnte. Aber eine Isetta oder das, was davon
übrig ist. Sie wurde 1989 aus dem Schwaigsee bei Wildsteig gezogen. Völlig
verrostet, veralgt, keiner hat sich die Mühe gemacht, einen Besitzer zu
ermitteln. Warum auch? Bevor wir politically correct wurden und allen
Müll in zwanzig Einzelteilen und in millimetergroße Fragmente trennen, waren
illegale Mülldeponien doch gang und gäbe. Ich möchte nicht wissen, wie viele
alte Fahrräder, Autos und Traktoren sonst noch in Seen liegen! Meint ihr, dass
der Pfarrer da auch noch liegt?«
Gerhard sah Baier
an, der grimmig blickte. Er schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Nein, du doch
auch nicht, oder? Würdest du Taucher anfordern?«
»Ich bin mir nicht
sicher. Ich habe das alles hundertmal im Kopf hin und her geschoben. Ein
junger, zutiefst vom Leben enttäuschter Mann kommt aus dem Gefängnis. Sein
eigener Vater wirft ihn raus. Er ermordet den Vater. Die Verzweiflung wird Wut,
sie wird Hass. Er sucht den
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