Weinzirl 04 - Gottesfurcht
Hilti bohrte
sich ins Gedärm des Hauses, nach einiger Zeit verebbte der Lärm. Ein Loch war
entstanden, einer der Männer strahlte mit einer starken Akkulampe hinein.
»Die haben da
Bauschutt, Gerümpel und alte Eisenteile reingeworfen, auch eine Art, Material
zu entsorgen, wenn man es nicht wegfahren will.«
Hatten sie auch
sonst was entsorgt? Hatte Karl Laberbauer hier jemanden entsorgt? Gerhards Puls
donnerte gegen seine Schläfen, ihm war, als müsse man das hören in der Stille,
die rundum herrschte. Alle sahen starr auf Baier, die beiden Spezialisten
hatten ihre Lampen sinken lassen, sie schickten Lichtkegel über den grauen,
unebenen Boden. Gerhards Kopf dröhnte.
»Geht rein!«, kam es
von Baier. Er sah irgendwohin, nicht zur Wand, die nun offen klaffte wie eine
Wunde.
Die beiden
Erkennungsdienstler kraxelten über die Mauer, leuchteten den kleinen Raum aus
und begannen vorsichtig Stein und andere Gebilde abzutragen. Ein alter
Fahrradreifen, Steine, Scherben.
»Hauts mir bloß die
Scherben weg, sonst haben wir den Ortschronisten da. Der entdeckt römische
Spuren auch noch im All, wenn’s sein muss. Der blockiert uns hier alles.« Baier
hatte seinen Brummbär-Knurrhahn-Ton wiedergefunden. Er grantelte an gegen das
Unwohlsein.
Mehr Steine türmten
sich auf einer Seite, die Männer arbeiteten konzentriert und vorsichtig. Der
kalte Klumpen in Gerhards Magen verdichtete sich. Er musste schlucken, sein
Hals war verengt. Er rang nach Luft. Noch mehr Steine folgten, ein Puppenwagen,
ein Holzzuber, und dann stakte plötzlich eine Hand heraus. Bleiche Knochen.
Gerhard atmete tief durch, Baier ließ Luft ab wie ein Blasebalg.
»Vorsicht, Jungs.«
Sie waren
vorsichtig, und am Ende lag da ein Skelett mit verdrehten Gliedmaßen.
»Lässt sich heute
noch sagen, ob er tot war, als er hierher gebracht wurde?«, fragte Baier.
Lebendig begraben,
das verräterische Herz, das grässliche Herz, Gerhard fühlte Schauer den Rücken
hinunterrieseln, immer schneller, immer kälter.
»Was ich so auf den
ersten Blick sagen kann: Ja, er war tot. Keine Anzeichen, dass er versucht
hätte, zu kratzen, zu scharren, sich zu befreien.« Er leuchtete den Schädel ab.
»Er dürfte erschlagen worden sein, der Schädel weist deutliche Spuren auf.«
Baier hieß Gerhard
und Steigenberger mit einer unwirschen Bewegung aus dem Keller zu kommen. »Wir
wissen nicht, ob das Egon Weiß ist. Keine DNS ,
keine Fingerabdrücke. Steigenberger, Sie kümmern sich auf die altmodische
Weise. Zahnmuster und so weiter. Wir müssen sicher sein, dass es sich um Weiß
handelt.«
Steigenberger schien
froh zu sein, der Szene zu entkommen. Gerhard wäre ihm gern gefolgt. Er hatte
so oft tote Menschen gesehen, entstellte Gesichter, Menschen, die Schmerzen
gelitten hatten, unvorstellbare Schmerzen. Das hier war ein Sensenmann, ein
Skelett, wie es in der Medizinischen Fakultät die Erstsemester in Anatomie
sahen. Bleiche Knochen, mehr nicht. Und doch packte Gerhard ein Grauen, das er
vorher nicht gekannt hatte. Er und Baier standen vor dem Haus, hätte Gerhard
geraucht, wäre das der Moment gewesen, eine nach der anderen anzustecken.
Natürlich war das Egon Weiß. Wer sonst hätte das sein sollen? Was war passiert
damals? Wieder gab es nur einen, der Antworten geben konnte: Karl Laberbauer.
*
Fuizbuam
Sommer 1967
Es war dunkel.
Frösche quakten im Schönsee, Grillen zirpten. Leise ging Karli die Außentreppe
hinauf. Die Tür war nur angelehnt. Er folgte dem Lichtschein, der auf den Gang
hinausstrahlte. Der helle Schein kam von der Küche. Da saß der Pfarrer und
trank. Gerade leerte er Wein aus einer goldenen Karaffe in einen Becher, der
besetzt war mit Edelsteinen.
»Sie trinken aus dem
Allerheiligsten?« Karli lehnte im Türrahmen.
Der Pfarrer fuhr
herum. Er war magerer als vor zehn Jahren, seine Augen lagen tief in den Höhlen
und waren rot umrändert. Seine Hände zitterten.
»Laberbauer?«
»Ja, Herr Pfarrer.
Zehn Jahre vergehen. Auch zehn Jahre vergehen irgendwann. Viele Leben später,
viele Tode später vergehen sie.«
»Laberbauer«, er
versuchte sich aufzurichten, schwankte aber so, dass er auf die Bank
zurückknallte. »Ich wollte das damals nicht, ich musste.«
»Sie mussten einen
unschuldigen Siebzehnjährigen verleumden? Sein Leben zerstören? Das mussten
Sie?«
»Dein Vater,
Laberbauer, er hat mich unter Druck gesetzt.«
»Nun, der hat seine
Strafe bekommen«, sagte Karli leise.
Erkennen huschte
über das kaputte, vom Alkohol
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