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Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Titel: Weinzirl 04 - Gottesfurcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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Du?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Ich wollte mit dir
reden.«
    »Ja, aber warum hast
du das nicht getan?« Hansl sah ihn an mit diesen Augen, die nichts von ihrem
jugendlichen Schalk eingebüßt hatten.
    »Ich wollte allein
mit dir reden.«
    »Warum nach all den
Jahren? Du hast dich nie gemeldet.«
    » Du hast dich
nicht gemeldet. Ihr habt euch nicht gemeldet.« Karl sah zu Boden.
    »Karl, ich habe es
versucht. Aber du warst verschwunden. Und glaub mir: Ich hatte zeitlebens ein
schlechtes Gewissen. Aber du kennst das sicher auch: Das Tagesgeschäft, das
Leben, die Familie, die Freunde …!«
    »Ich habe keine
Freunde …« Karls Blick war noch immer starr auf den Boden gerichtet.
    »Komm, du siehst gut
aus. Natürlich hast du Freunde. Wo lebst du denn?«
    Ja, das war Hansl.
So wie früher. Immer optimistisch. Der Wolkengucker, der immer die schönsten
und größten Fabelwesen gesehen hatte. Es war so etwas wie Zärtlichkeit, das
Karl überschwemmte. Er erschrak. Er wollte keinen Schlüssel zum
Wolkenkuckucksheim. Er wollte es endlich wissen.
    »Im Allgäu«,
beantwortete er die Frage, und da brach es aus ihm heraus: »Ich habe euch im
Fernsehen gesehen. Bei der Berliner Woche. Als Dreigesang. Warum habt ihr das
getan? Warum den Bass verschwiegen? Warum das Kamel? Exotisch, nicht von hier!
Was, Hansl? Du hast damals schon die Wahrheit gesagt, ohne ihre Bedeutung zu
kennen. Ich habe nie zu euch gehört.«
    »Karl, es ist so lange her. Natürlich hast du zu uns gehört. Zu mir. Viel mehr als Schorschi,
der kleine Feigling. Viel mehr als Paul. Aber was hätten wir sagen sollen im
Fernsehen? Wie erklären, dass unser Bass uns abhanden gekommen ist?«
    »Abhanden gekommen
ist gut. Habt ihr überhaupt an mich gedacht?« Karl lachte bitter.
    »In jeder Zeile, die
ich gesungen habe. Es war nicht recht ohne dich. Wir haben vorher geprobt. Ich
hatte vorgeschlagen, dass wir dich suchen sollten.« Hansl sah ihn offen an.
    »Und Schorschi und
Pauli?«
    »Du kennst doch
Schorschi. Der laviert sich durch. Er hat ziemlich viel Ärger in Oberammergau.
Er steht unter Druck, den Anforderungen seiner Familie zu genügen. Er ist ein
Bedenkenträger. Heute mehr als früher.«
    Ja, der kleine
Schorschi. Leicht zu beeinflussen. Aber da gab es noch einen!
    »Und Pauli?« Paul,
jener Pauli, der bei ihm gewohnt hatte. Dem er seine Hosen geschenkt hatte, den
er getröstet hatte, bei Gewittern. Jener Paul, dem er das Hackbrettspielen
beigebracht hatte. Sein Bruder?
    »Pauli, ach Pauli,
der ist halt jetzt in Berlin. Großer Geschäftsmann, trinkt zu viel, prasst mit
dem Geld …«
    »Pauli! Was hat
Pauli gesagt?« Karl sah Hansl direkt in die Augen.
    »Dass wir dich nicht
suchen sollen, hat er gesagt.« Das kam gepresst. »Weil man ja nicht weiß, ob du
…«
    »Ob ich was? Ob ich
immer noch ein Mädchenmörder bin? Hat er das gedacht, gesagt?«
    »Nein, er …«
    »O doch, ihr habt
alle nicht an mich geglaubt.«
    »Doch! Ich schon.
Ich hab dir in die Anstalt geschrieben.«
    Karl stutzte.
    »Ja, viele Briefe.
Sie kamen alle zurück. Ich habe immer an deine Unschuld geglaubt. Aber dann ist
der Hermann gestorben, Karl, das Leben rennt dahin, wir rennen hinterher. Wir
haben uns aus den Augen verloren. Aber das macht doch nichts, nun bist du ja
da! Karl, ich freu mich!«
    Er glaubte ihm das
sogar, dass er ihm geschrieben hatte. Aber eins war unwahr. Es machte eben
schon etwas. Es machte alles aus, die Zeit ließ sich nicht zurückdrehen. Und
wenn. Wohin hätte er sie zurückdrehen wollen? Weit vor seine Geburt, dahin, wo
er gar nicht geboren worden wäre.
    »Soso, dann glaubt
der Pauli also bis heute, dass ich der Mädchenmörder bin? Dabei bin ich doch
kein Mädchenmörder …« Sein Tonfall war so, dass er genau wusste, dass Hansl
nachfragen würde. Er glaubte fest an eine Maxime. Erwischt wird man nur, wenn
man’s wirklich will. Und jetzt hier so kurz vor Weihnachten wollte er. Er
wollte eine Absolution.
    »Was bist du dann
für ein Mörder?« Hansl starrte ihn an.
    »Kein Mädchenmörder.
Ich hab nur den Vater ins Silo gestoßen und den Pfarrer erschlagen!«
    Das »Nur« hing in
der Luft. In dem Moment griff sich Hansl ans Herz, schrie auf, sein Körper
zuckte. Wenig später war er zur Seite gekippt. Es war, als lehnte er an Karlis
Schulter. Es hatte leicht zu schneien begonnen, die Kälte kroch nass und schwer
über den Boden. Schade, er hätte Hansl noch so viel erklären müssen. Auch über
die Raunächte und deren reinigende Wirkung. Warum er

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