Weiskerns Nachlass
zum Flughafen und verspricht, ihn abends abzuholen.
»Und bring mir eine Schokolade mit, Rüdiger. Eine mit Pfeffer, die habe ich am liebsten.«
»Kann ich nicht versprechen. Ich weiß nicht, ob ich so viel Zeit habe, ich werde froh sein, die Anschlüsse zu erreichen. Bis heute Abend.«
Vier
Nach dem Vortrag an der Basler Kunsthochschule geht er mit Gotthardt und der kleinen spitznäsigen Frau, die an der Schule für Bühnenbild zuständig ist, zu einem Italiener in der Nähe, die Hochschule bezahlt. Das Budget, hatte ihm Gotthardt vor vierzehn Tagen am Telefon gesagt, erlaube ein Essen, so arg sei es bei ihnen noch nicht.
Stolzenburg ist mit der Veranstaltung zufrieden. Die Studenten hatten am Schluss heftig auf die Tische geklopft, er hatte sie scheinbar nicht gelangweilt. Andrerseits hält er den Vortrag über europäische Theaterbauten zur Shakespearezeit bereits zum achten Mal, er kann ihn fast auswendig und weiß mittlerweile, was die Studenten interessiert, wo sie ihm aufmerksam zuhören und wann sie träge dahindämmern.
Auf dem Weg zum Italiener schließen sich ihnen zwei Studenten an, die ihm aufgeregt Fragen stellen und ihnen gern in die Gaststätte gefolgt wären, doch Gotthardt sagt, er habe mit Stolzenburg noch einiges in Ruhe zu besprechen.
»Sehr gut, Rüdiger«, sagt er, als sie am Tisch sitzen und der Ober ihnen die Speisenkarte reicht, »eine gute Vorlesung. Ich bin froh, dass du gekommen bist. Weißt du schon, was du essen willst? Die Berner Platte ist hier vorzüglich. Etwas heftig und deftig, aber genau das Richtige an einem so kühlen Tag. Und danach ein Leckerli,wenn du schon mal hier bist. Ein Baseler Leckerli, das muss einfach sein, und das macht Giovanni göttlich. Du wirst sehen.«
Er bestellt eine Flasche Rotwein, obgleich Stolzenburg protestiert und die kleine Frau erklärt, sie würde nur einen Schluck zum Anstoßen trinken. Dann fragt er ihn nach der Leipziger Schule und erzählt von den Veränderungen an seiner Schule, von den Einsparungen und Kürzungen. Stolzenburg und die Frau vom Bühnenbild können sich ganz dem Essen widmen, Gotthardt redet ununterbrochen und gießt sich beständig Wein nach. Er bestellt, als die Flasche leer ist, noch ein weiteres Glas für sich. Kurz nach vier verabschieden sie sich vor der Gaststätte, die kleine Frau gibt Stolzenburg einen Fahrschein für den Flughafenbus und dankt ihm für sein Kommen.
»Für meine Studenten waren Sie ein Gewinn«, sagt sie, »da bin ich mir sicher. Und wenn wir es uns leisten können und Sie weiterhin alle zwei Monate bei uns sprechen können, wäre ich sehr glücklich.«
Stolzenburg nickt dankbar und starrt auf die Nase der kleinen Frau, auf diese unglaublich spitze Nase. Nachdem sie sich getrennt haben, bummelt er durch ein paar Geschäfte, kauft sich zwei Bleistifte und einen roten Mohairschal und fährt dann zum Flughafen, wo er noch eine Stange Zigaretten ersteht, bevor er ins Flugzeug steigt. Es gibt keine direkte Verbindung nach Leipzig, er muss in München umsteigen und wird erst kurz vor elf in seiner Stadt landen und nicht vor Mitternacht im Bett sein. Die Maschine startet mit einer halbstündigen Verspätung vom Airport Basel-Mulhouse.
Da er nur eine kleine Tasche bei sich hat, braucht er in München nicht zur Gepäckausgabe zu gehen. Er eiltan den Förderbändern vorbei, überholt andere Passagiere und rennt fast zum Ausgang. Der Flieger nach Leipzig geht von einem weit entfernten Gate ab, und er will auf keinen Fall den Anschluss verpassen. Er steht schon an der Tür zur Lobby, als er zurückgerufen wird. Ein Zollbeamter ist ihm hinterhergeeilt und bittet ihn um sein Ticket und das Personaldokument. Stolzenburg sagt verärgert, er habe es eilig, sein Flugzeug starte in zwanzig Minuten. Der Zollbeamte sieht sich ungerührt und bedächtig die Papiere an, die ihm Stolzenburg gegeben hat.
»Sie kommen aus Basel?«
»Wie Sie sehen.«
»Und Sie sind heute früh erst nach Basel geflogen?«
»Ja, ich bin heute früh nach Basel geflogen, und jetzt will ich zurück nach Leipzig. Wenn Sie lesen können, es steht alles in den Papieren.«
»Ich kann lesen, Herr … Herr Stolzenburg. Ich darf Sie bitten, für einen Moment mit mir zu kommen.«
»Ich habe es eilig. Mein Flieger …«
»Es dauert nur einen Moment. Kommen Sie bitte hier hinein.«
»Ist was passiert? Was wollen Sie von mir?«
»Ich darf Sie bitten, Ihre Tasche zu öffnen und den gesamten Inhalt auf den Tisch zu legen.«
»Bitte. Ich verstehe
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