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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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gefährden.
    Krupfer widert ihn an. Nein, zu einem Manfred Krupfer wird er nicht werden, so tief will er nicht in der Banalität versinken. Als die beiden Männer auf gleicher Höhe sind, berühren sie sich fast. Sie sehen sich für einen Moment an, keiner von ihnen sagt etwas, dann sind sie aneinander vorbei, und eine kleine, klebrige Wolke bösartiger Lust platzt über ihnen und besprüht beide.
    Auf dem Heimweg hält er am Mandelstam, stellt sein Rad in den Fahrradständer, geht in die Gaststätte und fragt das Mädchen hinterm Tresen, ob Speiche im Haus sei. Als er hört, dass sein Bekannter unterwegs ist und erst am Nachmittag auftauchen wird, erkundigt er sich, wer in der Küche steht.
    »Heute ist Peter da«, sagt das Mädchen, »Peter ist neu, ist erst seit letztem Freitag bei uns, aber er ist sehr gut. Der kocht lecker. Das wird dir schmecken.«
    Stolzenburg nickt, bestellt einen gespritzten Weißwein, nimmt die Speisenkarte und geht nach draußen, um sich an einen der Straßentische zu setzen. Er bedauert, dass er Marion nicht eingeladen hat. Er sitzt ungern allein in einer Gaststätte, er isst nicht gern allein, er liebt es zwar, allein zu sein, aber er ist ungern einsam. Als das Mädchen an seinem Tisch erscheint, klappt er die Karte auf und bestellt eins der Tagesgerichte.
    Eine Stunde später ist er zu Hause, stellt das Rad im Hinterhof ab, nimmt die Post aus dem Kasten und geht in seine Wohnung hoch. Er legt die Unterlagen vom Seminar in sein Arbeitszimmer zurück, holt den ausgearbeiteten Vortrag für Basel aus einem Ordner und verstaut ihn in einer kleinen Aktentasche. Sekundenlang starrt er in die geöffnete Tasche, dann steckt er noch ein Buch und sein Reisenecessaire hinein. Von der Pinleiste über seinem Schreibtisch reißt er das ausgedruckte Flugticket ab und startet den Computer. Fünf Minuten später hat er die Plätze in allen vier Maschinen gebucht, druckt die Bestätigungen aus und überprüft die Daten. Damit sind die Vorbereitungen für den nächsten Tag abgeschlossen.
    Er greift nach dem Telefon und ruft Patrizia an, doch nach dem ersten Klingelzeichen legt er rasch auf. Heute nicht, sagt er sich, sie würde es falsch verstehen. Lieber diesen Abend allein verbringen oder mit einer wildfremden Frau als mit einem Mädchen, das ihn am liebsten heiraten würde. Er nimmt das Handy, schickt ihr einen freundlichen, völlig unverbindlichen Gruß, man wird sich demnächst sehen, irgendwo, irgendwann. In der Küche macht er sich einen Kaffee und geht mit der Tasse und der Post auf den Balkon. Eine halbe Stunde spätersitzt er an seinem Computer, um an einem Kleistaufsatz weiterzuarbeiten, den er vor zehn Tagen hätte abgeben müssen und den der Herausgeber einer Münchner Literaturzeitschrift bereits angemahnt hatte. Am späten Nachmittag meldet sich Patrizia am Telefon, sie ist gekränkt und eifersüchtig. Er versucht sie zu beruhigen, lacht über ihre Verdächtigungen, aber da sie den Tränen nahe ist, willigt er schließlich ein, sich am Abend mit ihr zu treffen. Sie verabreden sich in der Innenstadt, sie wollen ins Kino gehen, Stolzenburg verspricht, einen Film auszusuchen.
    Er schaut sich in der Zeitung das Kinoprogramm an, die Filmtitel sagen ihm nichts oder wenig. Debile Dummheiten, damit kann man offensichtlich sehr viel verdienen. Es ist schließlich ein Spielfilm über Wrestler, für den er sich entscheidet. Irgendwo hatte er gelesen, es sei eine aufregende Analyse der amerikanischen Alltagskultur, eine ergreifende und messerscharfe Studie einer durch Gewalt verstörten und traumatisierten Gesellschaft, doch nach einer Stunde verlassen sie beide gelangweilt das Kino, und er entschuldigt sich bei Patrizia für seine Wahl. Er lädt sie zu einem Italiener ein, sie haben beide keinen Hunger, und Stolzenburg bestellt einen Teller mit verschiedenen Vorspeisen und für jeden ein Glas Wein. Dann laufen sie durch die nächtliche und vom Sommer aufgeheizte Stadt zu ihm nach Hause. Patrizia stellt mehrere Kerzen auf dem Balkon auf, während er in der Küche eine Flasche Wein öffnet. Bevor er mit den Gläsern und dem Wein zu ihr geht, zieht er Hemd und Hose aus und streift den neuen Kimono über. Sie lacht entzückt auf, als er auf den Balkon tritt.
    »Ich liebe dich, Rüdiger«, sagt sie leise. Ihr Gesicht leuchtet hell im Licht der vielen brennenden Kerzen.
    »Ja, ja«, erwidert er, küsst sie flüchtig auf die Wange und reicht ihr ein Glas.
    Am nächsten Morgen fährt sie ihn mit seinem Auto

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